FogNet Alliance - Learning Sessions 2021
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Nebelnetze: Jeder Tropfen zählt
Der Zugang zu sauberem Wasser ist ein Menschenrecht. Der Klimawandel dürfte diesen Zugang für viele Menschen jedoch weiter erschweren. Wo und welchen Beitrag Nebelnetze zur Wasserversorgung leisten können, loteten die Experten anlässlich der FogNet Learning Sessions 2021 aus.
Die Welt steht unter Wasserstress. In den vergangenen zwei Dekaden hat die Zahl der Menschen, die ausreichend Zugang zu sauberen Wasser haben, immer weiter abgenommen. Bis 2025 dürfte die Hälfte der Weltbevölkerung unter Wassermangel leiden. „Frauen und Mädchen tragen die Hauptlast, sie müssen jeden Tag weltweit 200 Millionen Stunden aufwenden, um ihre Familien mit ausreichend Wasser zu versorgen“, machte Monica Denomy, Senior Project Managerin bei der WasserStiftung, deutlich. Erschwerend hinzu kommt der Klimawandel, der den natürlichen Wasserkreislauf in manchen Regionen unterbricht, wie Prof. Martin Grambow vom Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz erläuterte. Er forderte von der Politik und der Wissenschaft mehr Bewusstsein für das Problem und sieht in Nebelnetzen ein bedeutendes Puzzleteil, um die globale Wasserversorgung zu verbessern. Die Veranstaltung möchte deshalb eine Plattform für Erfahrungsaustausch und Wissenstransfer sowie ein Katalysator für die weitere Entwicklung der Nebelnetz-Technologie sein, unterstrich Angelika Sturny, Projektmanagerin bei der Münchener Rück Stiftung.
Wo Wasser knapp ist
Quelle: WWAP (World Water Assessment Programme). 2012. The United Nations World Water Development Report 4: Managing Water under Uncertainty and Risk. Paris, UNESCO
Unkonventionelle Wasserquellen im Blick
Der Vorteil von Nebelfängern: Im Gegensatz zu anderen unkonventionellen Wasserquellen wie Entsalzungsanlagen oder aufbereitetem Abwasser sind sie kostengünstig und ohne großen technologischen Aufwand zu installieren sowie einfach zu warten. Und weil vor allem Frauen und Mädchen dadurch entlastet werden, leisten sie einen Beitrag zur Gleichstellung der Geschlechter, so Jamilia Bargach, Direktorin der marokkanischen Nichtregierungsorganisation Dar Si Hmad. Allerdings, so Manzoor Qadir vom Institut für Wasser an der United Nations University, würden unkonventionelle Wasserquellen zu wenig in der Wasserpolitik berücksichtigt und erhielten selbst dort nur begrenzte politische Unterstützung, wo sie ein hohes Potenzial haben. Deshalb hat die UN Water Task Force eine internationale und regionale Zusammenarbeit zwischen den UN-Mitgliedsstaaten angestoßen und Wasserinstitutionen, politische Entscheidungsträger und Experten eingebunden. Sie soll regionale und globale Möglichkeiten für unkonventionelle Wasserquellen ausloten und Hindernisse aus dem Weg räumen. „Der Knackpunkt ist nicht die Technologie, sondern die zu erreichen, die Einfluss auf einzelne Projekte nehmen können“, so Manzoor Qadir.
Wo sich weltweit ideale Standorte für Nebelnetze befinden, ist gut erforscht. „Wind, Nebel und die richtige Tropfengröße sind entscheidend“, verdeutlichte Otto Klemm, Professor für Klimatologie an der Universität Münster. Diese Voraussetzungen sind überwiegend in Gebirgslagen in der Nähe von Küstenregionen gegeben. Allerdings nehmen die Zahl der Nebeltage und die Nebelintensität weltweit mit wenigen Ausnahmen ab, wobei die Luftqualität und der Klimawandel entscheidende Faktoren seien. „Das muss man beachten, wenn man in einer Region neue Nebelnetze installieren will“, erklärte Klemm. „Bevor man loslegt, muss man mindestens ein Jahr vorher mit einer Evaluierungsstudie beginnen“, ergänzte Peter Trautwein, Vorsitzender der Aqualonis GmbH. Der Designer hat entscheidend zur Verbesserung der Nebelnetztechnologie beigetragen und den sogenannten CloudFisher für die WasserStiftung entwickelt. Er vereint hohe Haltbarkeit mit effizienter Wassergewinnung und hat seine Zuverlässigkeit seit langem unter Beweis gestellt. „Wenn Nebelkollektoren sehr reparaturanfällig sind, stellen die Menschen irgendwann die Wartungsarbeiten ein“, weiß der Experte aus Erfahrung.
Der CloudFisher kommt beispielsweise in Tansania auf einem Plateau in rund 2000 Metern Höhe etwa 250 Kilometer südwestlich des Kilimandscharo zum Einsatz. An insgesamt sechs Standorten wurden mit Unterstützung der Münchener Rück Stiftung Nebelnetze installiert. Sie versorgen Primär- und Sekundärschulen mit Wasser zum Trinken, Kochen, für Pflanzen und zum Reinigen. Früher musste es von Schülern in stundenlanger Arbeit mühselig herangeschafft werden, so dass ihnen wertvolle Zeit zum Lernen fehlte.
Wie viel Wasser nötig ist
Quelle: Davey, Kay; Shaw, Rod (2019): A hierarchy of water requirements based on Maslows hierarchy of needs. Loughborough University. Figure. https://doi.org/10.17028/rd.lboro.8059565.v1
Integrierter Ansatz des Wassermanagements
Die Netze aus dreidimensionalem textilem Gewebe mit einem stabilen Stützgitter aus UV-beständigem Kunststoff zeichnen sich durch eine lange Lebensdauer aus und können bis zu 1000 Liter Trinkwasser pro Nacht und Kollektor liefern. Das Wasser kommt den knapp 3000 Schülern und deren Familien zugute. Dabei verfolgt man einem integrierten Ansatz, der neben dem Aufbau von Netzen und Zisternen auch die Unterrichtung in Hygiene sowie den Bau von Toiletten und Waschmöglichkeiten umfasst. Derzeit bereiten Trautwein die stark gestiegenen Kosten für Rohstoffe wie Stahl und für den Transport Sorgen, die die Installation von weiteren CloudFishern erschweren.
Im bolivianischen Valle Cruceños sind Nebelnetze in ein umfassendes System des Wassermanagements integriert, wie Projektmanagerin Teresa López de Armentia von der spanischen Nichtregierungsorganisation Zabalketa berichtete. Dieses System umfasst unter anderem die Förderung von mehr Umweltbewusstsein, den Schutz von Wasserquellen, einen Flächennutzungsplan, die effiziente Nutzung von Wasser und die Ausbildung im Wassermanagement. Neben der Wasserversorgung steht die Wiederaufforstung mit Hilfe von Nebelnetzen im Vordergrund, wobei die einzelnen Pflanzlinge eigene kleine Netze zur Bewässerung erhalten. Bezüglich der Erfolgsfaktoren hat López de Armentia eindeutige Empfehlungen: „Auf die Balance zwischen Effizienz, Einfachheit und Anpassung an den Kontext vor Ort achten, lokale Organisationen mit einbeziehen, eine engagierte Umweltpolitik betreiben und die Beteiligung von Frauen an der Entscheidungsfindung fördern.“ Zudem solle man Partnerschaften mit lokalen und internationalen Institutionen anstreben und Wasserkomitees bilden, um mit der Ressource Wasser sparsamer umzugehen.
Keine falschen Hoffnungen wecken
Auch in Chile blickt man auf eine lange und erfolgreiche Historie mit Nebelnetzen zurück. „Ein entscheidender Aspekt dabei ist, Wasser aus Nebelnetzen als eine anerkannte Quelle innerhalb des öffentlichen politischen Rahmens zu betrachten“, gab Pablo Osses, Associate Professor am Geographischen Institut der Päpstlichen Katholischen Universität von Chile, zu bedenken. Wichtig sei auch, die richtigen Orte zu wählen, um keine falschen Hoffnungen zu wecken und Enttäuschungen zu vermeiden. Das könnte sonst der Akzeptanz von Nebelnetzen schaden. Zudem müsse man auf eine einfache Wartung der Nebelkollektoren achten sowie sicherstellen, dass Ersatzteile gut verfügbar sind. „Lieber langsam Schritt für Schritt vorangehen und die Menschen vor Ort mitnehmen. Sie müssen spüren, dass es ihre Technologie ist“, ergänzte López de Armentia.
„Auf dem Höhepunkt der Covid-19-Pandemie, als viele Menschen aus den Städten in ihre Heimatdörfer im marokkanischen Antiatlas-Gebirge zurückgekehrt sind, mussten wir zeitweise Wasser zukaufen, um die Versorgung sicherzustellen“, erklärte Jamila Bargach von Dar Si Hmad. Denn Mai, Juni, Juli und August 2020 erwiesen sich am Mount Boutmezguida, wo seit Jahren eine der größten Nebelnetzanlagen der Welt steht, als äußerst nebelarm. Doch abseits dieser Ausnahmesituation ist es gelungen, mit den Nebelnetzen 30 Prozent der Bevölkerung des Distrikts Tnine Amellou zu versorgen.
Die Nebelnetztechnologie hat eine Oase der Möglichkeiten geschaffen, einen Horizont dessen, was man mit lokalen Ressourcen erreichen kann. Sie hat Fragen des Klimawandels, der Dürre, der Migration und des Lebensunterhalts miteinander verknüpft sowie deren Zusammenhänge verdeutlicht.
Klimawandel könnte Nebelbildung beeinflussen
„Natürlich können Nebelnetze nicht das globale Wasserproblem lösen“, gab Annette Menzel, Professorin für Ökoklimatologie an der TU München zu bedenken. Aber sie können regionale Verbesserungen in Gebieten mit semiariden Klima anstoßen, wo jeder Tropfen zählt. Immerhin können unter günstigen Bedingungen mit einem Standardkollektor bis zu 20 Liter Wasser pro Quadratmeter Netzfläche und Tag geerntet werden, mit speziellen Netzen sogar ein Vielfaches davon. Allerdings müsse man im Blick haben, wie sich der Klimawandel auf die Nebelbildung in bestimmten Regionen auswirkt.
„Nebelnetze sind ein Beitrag, um den durch den Klimawandel bedingten Ursachen für erzwungene Migration entgegenzuwirken. Er gibt den Menschen mehr Sicherheit in ihren Lebensgrundlagen, so dass sie weiter an ihren angestammten Orten leben können anstatt in andere Regionen abzuwandern“, ist Trautwein überzeugt und ergänzte: „Für mich als Entwickler ist es immer eine Freude, wenn ich sehe, dass die Menschen vor Ort Verantwortung übernehmen und meine Hilfe nicht mehr nötig ist. Das ist der Schlüssel zum Erfolg.“
„Die Veranstaltung hat gezeigt, dass Nebelnetze gerade in trockenen Gebieten eine zusätzliche Wasserressource mit noch nicht ausgeschöpftem Potenzial sind. Für eine weitere Verbreitung der Technik müssen aber die Kosten reduziert und die Auswirkungen des Klimawandels auf das Nebelvorkommen besser verstanden werden. Auch muss der Zugang zum Wissen über Aufbau und Wartung erleichtert werden“ fasste Dirk Reinhard, stellvertretender Geschäftsführer der Münchener Rück Stiftung, die Veranstaltung zusammen.
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Weitere Information zu Nebelnetzen
Über die Veranstaltung:
Die FogNet Learning Sessions 2021 wurde von der FogNet Alliance - eine Kooperation der Münchener Rück Stiftung mit der WasserStiftung - ausgerichtet. Organisationen aus der ganzen Welt berichteten hierbei von ihren Erfahrungen zu den Nebelnetzprojekten aus Bolivien, Chile, Eritrea, Marokko, Spanien und Tansania. Eingeladen wurden Fachleute aus fünf Ländern, die ihr Wissen zu den Nebelnetztechnologien teilten.
7. Oktober 2021