Wetterextreme und Klimarisiken -
Müssen nun Gerichte den Klimaschutz beschleunigen?
Dialogforum, 5. Dezember 2023
properties.trackTitle
properties.trackSubtitle
Im Gespräch mit unseren Experten (Videos)
Verfassung gibt Richtung vor
Doch ist der Weg zu mehr Klimaschutz über Gerichtsurteile überhaupt zielführend? „In unserer Verfassung sind die Aufgaben relativ klar verteilt: Klimaschutz ist primär Sache des Gesetzgebers“, machte Schulte deutlich. Denn Entscheidungen zum Klimaschutz seien häufig mit Eingriffen in die Berufs- oder Eigentumsfreiheit und damit mit grundrechtsrelevanten Problemen verbunden. Nach der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Wesentlichkeitslehre müsse der Gesetzgeber staatliches Handeln in solchen grundlegenden Bereichen durch ein förmliches Gesetz legitimieren, die wesentlichen Entscheidungen also selbst treffen, so der Professor.
Klimaklagen seien allerdings schon dazu geeignet, politischen Druck zu erzeugen. Die Gerichte kämen ins Spiel, wenn das geltende Recht auslegungsfähig sei und Ansatzpunkte biete, um bestimmte Wertvorstellungen zu transportieren. Diese sogenannte richterliche Rechtsfortbildung sei zulässig, wenn ein Gesetz eine planwidrige Lücke aufweise. „Unzureichender Klimaschutz ist aber keine planwidrige Gesetzeslücke, sondern einzig und allein auf politische Versäumnisse zurückzuführen und muss in erster Linie auf politisch-parlamentarischer Ebene artikuliert und bearbeitet werden“, argumentierte Schulte. Da das OVG Berlin-Brandenburg dies offensichtlich anders sieht, würde den Professor eine Revision gegen das Urteil nicht überraschen. „Dann würde es bis zu einer letztinstanzlichen Entscheidung eine Weile dauern. Ob diese dann so ausfällt, wie sich die Kläger das vorstellen, ist fraglich,“ vermutet er. Allerdings gebe es durchaus in der Rechtswissenschaft Stimmen, die diese Art der innovativen Klimajustiz des OVG befürworten, weil nur so der Klimaschutz vorangebracht werden könne. Gerichte können den Klimaschutz also beschleunigen, etwa wenn es darum geht, dass Verwaltungsgerichte Klimaschutzmaßnahmen erlauben oder ankurbeln sollen. Das Fazit von Schulte: „Klimaschutz bleibt Sache des Gesetzgebers, aber er muss die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umsetzen. Da fehlt es in vielerlei Hinsicht.“
Attributionsforschung mit großen Unsicherheiten
Dass der Klimawandel eine Rolle bei den zunehmenden Extremwetterereignissen spielt, daran besteht in der Wissenschaft kein Zweifel. Inwieweit jedoch einzelne Ereignisse auf den globalen Temperaturanstieg zurückzuführen sind, ist nach wie vor mit großen Unsicherheiten behaftet. „Die Attributionsforschung, die sich mit dem Thema befasst, hat beispielsweise herausgefunden, dass die Überschwemmungskatastrophe im Ahrtal vor zwei Jahren durch den Klimawandel um den Faktor 1,2 bis 9 wahrscheinlicher geworden ist“, erklärte Tobias Grimm, Head of Climate Advisory and NatCat Data bei Munich Re. Bei den versicherten Schäden durch Naturkatastrophen, die im Durchschnitt etwa ein Drittel der weltweiten gesamtwirtschaftlichen Schäden ausmachen, sei der Trend aber eindeutig. „Seit 2017 wurde in fünf von sechs Jahren die Marke von 100 Milliarden Dollar überschritten oder die Schäden lagen nahe dran. Das hat es in der Vergangenheit nicht gegeben“, stellte Grimm fest. Wesentlicher Schadentreiber seien die Hurrikane in den USA, die tendenziell stärker und regenreicher würden.
Mehr Ehrlichkeit, mehr Partizipation
Zudem sei zu viel Alarmismus kontraproduktiv, denn: „Katastrophenrhetorik lähmt.“ Stattdessen sollte man mit den Bürger:innen ehrlich die Belastungen ansprechen und aufzeigen, wie sich die Welt nach Jahrzehnten der Transformation zum Besseren entwickeln könnte. „Die Aussicht auf eine zukunftsfähige Gesellschaft für nachfolgende Generationen kommt mir in der Diskussion zu kurz“, kritisierte Renn. „Man kann Politik nicht aus dem Elfenbeinturm heraus verordnen, sondern muss die Bevölkerung mitnehmen“, ergänzte Munich-Re-Experte Grimm. Renn spricht sich beim Klimaschutz neben der Vergabe von Verschmutzungsrechten, also CO2-Zertifikaten, auch für Absprachen im Sinne von mehr Partizipation aus, wie etwa bei Energiegenossenschaften. Diese Genossenschaften setzen in einer überschaubaren Gruppe freiwillig auf mehr Erneuerbare Energien, ohne dass es zu Protesten kommt, wie sie bei einer Verordnung von oben sicher zu erwarten wären.
Einen Beitrag, um die Welt rascher zu dekarbonisieren, kann auch die Rückversicherungsbranche leisten, indem sie etwa die Grenzen der Versicherbarkeit neu auslotet. „Unsere Lösungen für Leistungsgarantien bei Windkraftanlagen oder Solarparks bieten die nötige Sicherheit, um in den Aufbau neuer Energiesysteme zu investieren“, erläuterte Grimm. „Ich hoffe, dass wir die Transformation schaffen, bevor sie uns aufgezwungen wird. Denn wenn wir die es nicht schaffen, haben wir keine gute Zukunft“, befürchtet Renn. Auch wenn ihn die weiter steigenden CO2-Emissionen eher pessimistisch stimmen, sei kollektiver Optimismus Bürgerpflicht. „Denn um etwas zu tun, brauchen wir die Zuversicht, dass es besser werden kann.“ Die Wege, möglichst viele Akteur:innen zu mehr Klimaschutz zu bewegen, sind also höchst unterschiedlich. Die Erwartung, dass Gerichte den Klimaschutz beschleunigen können, trifft aber nur sehr bedingt zu.
11. Dezember 2023