Angesichts der fortschreitenden Erderwärmung ist Klimaschutz das Gebot der Stunde. Die Stadt München hat sich mit dem Ziel, bis 2035 klimaneutral zu werden, viel vorgenommen. Wie schaffen wir neue gesellschaftliche Allianzen, um eine klimafreundliche Lebenswelt zu realisieren? Welche Formen der Beteiligung sind denkbar? Darüber diskutierten die Podiumsgäste des Dialogforums, das in Kooperation mit HM:UniverCity, dem Innovationsnetzwerk der Hochschule München, stattfand.
Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung war Partizipation, also die Einbindung von Bürger:innen in Gestaltungs- und Entscheidungsprozesse, ausdrücklich festgeschrieben. „In Abgrenzung zum Ehrenamt trägt Bürgerbeteiligung in den meisten Fällen zur politischen Entscheidungsfindung bei“, erläuterte Prof. Martina Wegner, Professorin für angewandte Sozialwissenschaften an der Hochschule München. Beispiele dafür seien Bürgerräte oder Einspruchsmöglichkeiten in Planfeststellungsverfahren. Durch bürgerschaftliches Engagement könne man zudem erkennen, welche Themen in der breiten Gesellschaft noch nicht ausreichend angekommen seien. „Ehrenamt hingegen ist freiwilliges Engagement, das die Gesellschaft aktiv mitgestaltet, zum Beispiel bei Stadtteilprojekten wie Urban Gardening, als Trainer im Sportverein oder bei der Freiwilligen Feuerwehr“, führte sie weiter aus.
In Abgrenzung zum Ehrenamt trägt Bürgerbeteiligung in den meisten Fällen zur politischen Entscheidungsfindung bei.
Prof. Martina Wegner
Professorin für angewandte Sozialwissenschaft, Hochschule München
Leuchtturmprojekte der Partizipation
Zwei Beispiele für Bürgerbeteiligung im Münchner Stadtteil Neuperlach im Rahmen des Projekts „Creating NEBourhoods Together - Neuperlach“ wurden auf dem Dialogforum vorgestellt. „Neuperlach isst grün“ bietet durch das Anlegen von Gemeinschaftsgärten einen sozialen Treffpunkt für die Bürger:innen und informiert über lokale Nahrungsketten. Das andere Projekt, „Studio Animal-Aided Design“, entwickelt gemeinsam mit lokalen Akteuren Ideen und Lösungen zur Förderung der urbanen Biodiversität. „Animal-Aided Design" ist dabei eine Methode, um wildlebende Tiere in Architektur, Freiraum- und Stadtplanung zu integrieren. „Creating NEBourhoods Together - Neuperlach“ ist eines von insgesamt fünf Leuchtturmprojekten im Rahmen des Neuen Europäischen Bauhauses (NEB), die bis 2025 von der EU gefördert werden, um ein klimafreundliches, integratives und lebenswertes Leben und Arbeiten in der Stadt zu gewährleisten.
Es gibt viele Möglichkeiten, sein Wertegefühl auszudrücken, man muss sich nur trauen.
Alexander Rossner
Leiter der genossenschaftlich organisierten Nachhaltigkeits- und Klimaschutzberatung Zukunftswerk eG
„Viele Menschen bewegen sich in einem Spannungsfeld zwischen Umweltbewusstsein und den äußeren Umständen, zum Beispiel in der Arbeit, das dieses Werteempfinden nicht widerspiegelt. Das führt zu Frustration“, erklärte Alexander Rossner, Rechtsanwalt und Leiter der genossenschaftlich organisierten Nachhaltigkeits- und Klimaschutzberatung Zukunftswerk eG. „Es gibt viele Möglichkeiten, sein Wertegefühl auszudrücken, man muss sich nur trauen.“ Rossner selbst engagiert sich ehrenamtlich für Klimaschutz und Nachhaltigkeit und hat 2012 die Zukunftswerk eG gegründet, um Veränderungen in der Gesellschaft anzustoßen. Der Wunsch nach Veränderung sei unabhängig von politischen Rahmenbedingungen oder dem Gesellschaftssystem. „Wir sind alle alt genug, um unser Leben selbst in die Hand zu nehmen und uns die Frage zu stellen, was macht mich glücklich, wonach strebe ich, und nicht: womit kann ich möglichst viel Geld verdienen“, so Rossner.
Marginalisierte Teile der Gesellschaft einbeziehen
Wegner machte darauf aufmerksam, dass nicht jeder diesen Ansatz verfolgen könne. „Was ist mit den Teilen der Gesellschaft, die marginalisiert sind“, fragte sie. In unserer Gesellschaft sei mittlerweile ein Maß an Ungleichheit erreicht, das man in der eigenen Blase kaum noch wahrnehme. Gerade die Menschen in prekären Lebenslagen mitzunehmen, sei aber immens wichtig.
Um das Ziel der Klimaneutralität in München bis 2035 zu erreichen, brauche es die Mithilfe aller Bewohner:innen, pflichtete Maximilian Leuprecht, Geschäftsbereichsleiter „Klimaschutz und Energie“ im Referat für Klima- und Umweltschutz der Landeshauptstadt, bei. „Viele Fragen im Umweltbereich betreffen den persönlichen Lebensstil. Da muss man sensibel vorgehen, wenn man sich nicht dem Vorwurf der Bevormundung aussetzen will“, erklärte er. Um aus der Blase der Besserverdienenden herauszukommen, biete sich der Quartiersansatz an.
Das Quartier als Bindeglied zwischen übergeordneter Planung und gebäudebezogenen Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit biete die Chance, Stadtentwicklung und soziale Nachbarschaft zu verbinden. „Wenn wir schon im Quartier sind, macht es auch Sinn, mit den Bürgerinnen und Bürgern in Kontakt zu treten und zu fragen, was sie sich wünschen.“ Gibt es Mobilitätsdienstleistungen, die man mit anderen teilen kann, wie kann ich mich im Viertel engagieren, welche Flächen können entsiegelt werden, all das könne man vor Ort besprechen. So könne man auch jenseits von Energie- und Transformationsthemen herausfinden, was die tatsächlichen Bedürfnisse sind.
Für Leon Schmid von der Klimabewegung Fridays for Future ist es wichtig, dass Aktivisten wie er nicht nur auf der Straße demonstrieren, sondern sich auch parteipolitisch engagieren, um etwas zu bewegen. „Wenn man dann im direkten Gespräch sieht, wo die Grundinteressen übereinstimmen, kommt man auch auf dieser Ebene weiter“, sagte er. Er plädierte für starke Klimaschutzmaßnahmen, da sonst die Dringlichkeit des Handelns nicht bei der Bevölkerung ankomme. „Wir müssen in der Kommunikation klar ansprechen, dass wir auf eine Klimakrise zusteuern und jetzt schnell handeln müssen“, forderte er.
Wir müssen in der Kommunikation klar ansprechen, dass wir auf eine Klimakrise zusteuern und jetzt schnell handeln müssen.
Leon Schmid
Fridays for Future
Gesellschaftlicher Konsens statt Spaltung
„Projekte wie Urban Gardening sind gut, um die Menschen zu sensibilisieren“, sagte Wegner. Da dies aber nicht ausreiche, müsse man bestimmte Dinge regulieren. Zudem müsse die Gesellschaft aufpassen, sich nicht auseinanderdividieren zu lassen. Denn wenn zu unterschiedliche Strömungen aufeinander träfen, werde es schwierig, einen gesellschaftlichen Konsens zu finden.
Wer den Hafen nicht kennt, in den er segeln will, für den ist kein Wind der richtige.
Maximilian Leuprecht
Geschäftsbereichsleiter Klimaschutz und Energie, Landeshauptstadt München
Bei der Festlegung der Ziele gingen die Meinungen auseinander. „Wenn die Ziele zu ehrgeizig sind, demotiviert das eher“, meinte Rossner. Deshalb sollte man sich an Teilzielen wie Mobilität, Ernährung, Wärme, Strom oder Konsum orientieren, um das Gesamtziel zu erreichen. Das Ziel müsse ambitioniert sein, entgegnete Leuprecht. Nur so könne sichergestellt werden, dass sich alle Investitionsvorhaben mit längerem Vorlauf schon jetzt daran orientieren. Oder anders formuliert: „Wer den Hafen nicht kennt, in den er segeln will, für den ist kein Wind der richtige“. Wichtig ist aber, dass die Stadt Anreizprogramme schafft mit dem Ziel, individuelle Verhalten zu ändern. Auch müssen auftretende Härten durch Zuschüsse abgefedert werden. „Wir versuchen, nah an den Menschen zu sein und Angebote für die unterschiedlichen Lebenswelten zu finden“, sagte er.
Behutsames Vorgehen wichtig
„Veränderungen sind schwierig und brauchen Zeit“, schränkte Rossner ein. Natürlich sei es wichtig, die Menschen auf dem Weg der Transformation mitzunehmen. Kommunen, Genossenschaften, der Quartiersansatz und Partizipation seien dafür gute Möglichkeiten. Aber man solle nichts überstürzen, sondern sich Zeit nehmen, denn: „Das Beharrungsvermögen im konkret erkannten Unglück ist größer als die Sehnsucht nach dem unbekannten Glück“, warnte er. Wer das nicht erkenne, könne gleich alle Ambitionen fahren lassen. „Die Kommune ist der Ort, an dem wir neue, nachhaltigere Systeme finden“, zeigte sich Wegner überzeugt. Erfolgversprechend sei es, nicht von oben herab etwas zu verordnen, sondern unter Beteiligung der Menschen neue Lösungen zu finden. Dabei komme es auf jeden Einzelnen an und man brauche die Unterstützung von ehrenamtlichen und zivilgesellschaftlichen Strukturen.
Wir alle sind gefordert, unsere Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. Ohne Partizipation, das hat der Abend gezeigt, werden wir das Ziel der Klimaneutralität nicht oder erst viel später erreichen. Dabei müssen wir aber darauf achten, alle gesellschaftlichen Gruppen einzubeziehen und für einen regen Austausch zwischen den Generationen, zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Stadtpolitik zu sorgen.
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Maximilian Leuprecht
Geschäftsbereichsleiter Klimaschutz und Energie, Landeshauptstadt München
Alexander Rossner
Leiter der genossenschaftlich organisierten Nachhaltigkeits- und Klimaschutzberatung Zukunftswerk eG
Leon Schmid
Fridays for Future
Prof. Martina Wegner
Professorin für angewandte Sozialwissenschaft, Hochschule München, Schwerpunkte u.a.: Kommunalberatung und –entwicklung, Bürgerschaftliches Engagement
Moderation
Paju Bertram
Co-Creation Managerin, HM:UniverCity