Strom- und Wärmewende in Deutschland - Erfolgreiche Umsetzung für eine nachhaltige Zukunft
Dialogforum in Kooperation mit der Akademie für Politische Bildung Tutzing
12. März 2025, Munich Re, Saal Europe, Giselastraße 21
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Neben der Stromwende ist die Wärmeerzeugung wegen ihrer großen Bedeutung der „schlafende Riese“ bei der Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft. Im Wärmesektor liegt der regenerative Anteil erst bei rund 17 Prozent gegenüber rund 46 Prozent bei Strom. Welche innovativen Lösungen und Best-Practice-Modelle angedacht bzw. bereits umgesetzt werden, stellten die Expert:innen auf dem Dialogforum vor.
Vertreter:innen aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft diskutieren bei den Dialogforen.
Die gute Nachricht zuerst: Der Ausstoß klimaschädlicher Gase geht in Deutschland weiter zurück, dank Ökostrom und weniger Kohlekraft. Die schlechte Nachricht: Nicht alle Wirtschaftsbereiche befinden sich auf dem richtigen Pfad zur angestrebten Klimaneutralität bis 2045. „Das dickste Brett ist die kommunale Wärmeversorgung für Heizen, Warmwasser und industrielle Prozesse, auf die 59 Prozent des Endenergiebedarfs in Deutschland entfällt“, erläuterte Prof. Dr. Mario Ragwitz, Institutsleiter der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geotechnologien. Je nach Szenario werden für die Energiewende große Mengen CO2-neutraler Sekundärenergieträger wie Strom, Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe benötigt.
Das dickste Brett ist die kommunale Wärmeversorgung für Heizen, Warmwasser und industrielle Prozesse, auf die 59 Prozent des Endenergiebedarfs in Deutschland entfällt
Prof. Dr. Mario Ragwitz
Insitutsleiter der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geotechnologien
Netze sind das Rückgrat der Energiewende
Dem Strom kommt dabei in allen Szenarien eine besondere Bedeutung zu, etwa für Wärmepumpen oder für E-Autos. Strombasierte Lösungen weisen deutliche Effizienzvorteile auf. Einige Prozesse können aber mit Strom allein nicht abgebildet werden. „Wasserstoff ist insbesondere für energieintensive Anwendungen in Industrie und Verkehr relevant“, so Ragwitz. Synthetische Kraftstoffe wiederum könnten fossile Kraftstoffe im Flug- und Seeverkehr sowie zum Teil im Schwerlastverkehr ersetzen. In jedem Fall sei ein massiver Ausbau der Stromnetze nötig, um die Regionen im Norden mit viel Windkraft und im Süden mit viel Photovoltaik zu verbinden. „Die Netze sind das Rückgrat der Energiewende“, machte Ragwitz deutlich. Aber auch um Verfahren zur CO2-Abscheidung und Speicherung werde man nicht herumkommen.
Dass die Abkehr von traditionellen fossilen Lösungen mit intensiven Diskussionen und Widerständen verbunden ist, hat das als „Heizungshammer“ titulierte Gebäudeenergiegesetz gezeigt. Der Gebäudesektor hinkt den eigenen Klimazielen deshalb so weit hinterher, weil die Politik zu lange auf Gas als Brückentechnologie gesetzt hat und die unterschiedlichen Regierungen die Wärmewende zu zaghaft angegangen sind, wie Robert Brückmann, Leiter des dena Kompetenzzentrum Wärmewende, erklärte. „Erst mit dem kommunalen Wärmeplan, den die Gemeinden bis spätestens 2028 erstellen müssen, wurde das Thema strategisch angegangen“. Wo ist ein Wärmenetz sinnvoll, wo eine dezentrale Versorgung? In Deutschland gebe es etwa 20 Millionen Häuser mit einer sehr heterogenen Eigentumsstruktur. „Damit alle an einem Strang ziehen, darf man die Menschen nicht alleine lassen“, so Brückmann.
Erst mit dem kommunalen Wärmeplan, den die Gemeinden bis spätestens 2028 erstellen müssen, wurde das Thema strategisch angegangen.
Robert Brückmann
Leiter des dena Kompetenzzentrum Wärmewende
München als Vorreiter
Dr. Karin Thelen, Geschäftsführerin Regionale Energiewende bei den Stadtwerken München, erläuterte, wie ein kommunaler Wärmeplan aussehen kann. „München hat sich zum Ziel gesetzt, die Wärmeversorgung bereits bis 2040 zu dekarbonisieren“, machte sie deutlich. Schon seit 20 Jahren setze man auf Geothermie, in den nächsten 15 Jahren sollen weitere zehn Anlagen in Betrieb gehen. Zudem müssten die 1000 Kilometer Fernwärmenetze um weitere 500 Kilometer erweitert werden. „Und wir versuchen, die Bürger mitzunehmen, indem wir sie darüber informieren, was wo geplant und welche Variante für welches Gebäude am wirtschaftlichsten ist.“ Eine Herausforderung sind die Kosten der Wärmewende, die sich alleine für München auf 2,5 Milliarden Euro belaufen.
München hat sich zum Ziel gesetzt, die Wärmeversorgung bereits bis 2040 zu dekarbonisieren. Und wir versuchen, die Bürger mitzunehmen, indem wir sie darüber informieren, was wo geplant und welche Variante für welches Gebäude am wirtschaftlichsten ist.
Dr. Karin Thelen
Geschäftsführerin Regionale Energiewende Stadtwerke München
In der südlich von München gelegenen Gemeinde Pullach ist man bei der kommunalen Wärmeversorgung nochmals deutlich weiter. Nach Angaben von Helmut Mangold, Geschäftsführer der Innovative Energie für Pullach GmbH, sind bereits 60 Prozent der Haushalte und gewerblichen Firmen auf freiwilliger Basis an die Wärmeversorgung durch Geothermie angeschlossen. „Bis 2027 soll in jeder Straße ein Angebot für Fernwärme vorliegen“, stellte er in Aussicht.
1500 Milliarden Euro nötig
Dabei habe man das Glück, dass Pullach zur Finanzierung auf ausreichend Gewerbesteuern zurückgreifen könne. „Andere Kommunen können sich das nicht leisten“, gab er zu bedenken. Schließlich koste ein Kilometer Wärmenetz rund zwei bis drei Millionen Euro. Die Folge: „Wir haben in Deutschland ein Umsetzungsproblem, weil es an der Finanzierungsunterstützung mangelt und keine Bank bereit ist, den Kommunen für die nötigen Investitionen Kredite zu geben.“ Denn die Einnahmen aus den Netzen und damit der Return on Investment würden erst nach einer langen Vorlaufzeit von etwa 20 Jahren fließen. „Wir brauchen für die Kommunen in Deutschland analog zur Rüstung einen Topf von 1500 Milliarden Euro, damit die Wärmewende gelingt“, forderte er. Eine andere Möglichkeit wäre, dass die Gemeinden Genussscheine für Eigenkapital ausgeben, dann ließe sich das weitere notwendige Fremdkapital leichter aufbringen. „Das funktioniert aber nur, wenn die Renditeerwartungen der Investoren nicht zu hoch sind“, gab Mangold zu bedenken. Zwar gibt es eine Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW), die jedoch nur greife, wenn ausreichend Haushaltmittel zur Verfügung stehen, ergänzte Ragwitz.
Wir haben in Deutschland ein Umsetzungsproblem, weil es an der Finanzierungsunterstützung mangelt und keine Bank bereit ist, den Kommunen für die nötigen Investitionen Kredite zu geben.
Helmut Mangold
CEO, Innovative Energie für Pullach
Richtiger Mix entscheidend
Bleibt die Frage, wie auch ohne Geothermie dauerhaft ausreichend nachhaltig Wärme erzeugt werden kann. In Köln entsteht beispielsweise eine Flusswasser-Wärmepumpe mit einer Leistung von 150 Megawatt, die rund 50.000 Haushalte versorgen kann. „Ein wesentliches innovatives Element ist es, den Überschuss an sogenanntem warmen Lichtsturm – den Erzeugungsspitzen von Photovoltaik und Windkraft – mit der Wärmewende zu verknüpfen, zum Beispiel über Erdwärmespeicher“, skizzierte Ragwitz. „Wichtig ist der richtige Mix für die jeweilige Kommune“, empfiehlt Brückmann. Auf dem Land, wo Wärmenetze nicht sinnvoll seien, gehe es vor allem um dezentrale Lösungen, ergänzte Ragwitz. Hier bestehe das Problem, dass viele Häuser, die vor Jahrzehnten gebaut wurden, erst energetisch saniert werden müssen, bevor eine Wärmepumpe installiert werden kann. Biomasse und Wasserstoff seien allenfalls für bestimmte Nischen geeignet, nicht aber für die breite Anwendung. Ein weiteres Hemmnis ist die fehlende Regulierung des Wärmemarktes, es gibt keine geregelte Einspeisevergütung und keine Netzentgelte. Ein Blick ins Ausland zeigt, wie es besser geht: „In der Schweiz beispielsweise erhalten Fernwärmeversorger, deren Wärme aus erneuerbaren Energien stammt wie etwa Tiefengeothermie, 130 Franken pro eingesparter Tonne CO2. Das Geld stammt aus der CO2-Abgabe auf fossile Energieträger“, verdeutlichte Mangold. „Schweden hat seit über 20 Jahren einen funktionierenden CO2-Markt, und mit diesem Marktmechanismus funktioniert auch die Wärmewende viel besser“, sagte er.
Renate Bleich, Geschäftsführerin der Münchener Rück Stiftung, moderierte an diesem Abend die Podiumsdiskussion.
Bürokratie als Hemmnis
„Wir müssen Strom und Wärme zusammen denken und die Netze nicht einfach parallel ausbauen, sondern dort, wo es am sinnvollsten ist“, forderte Thelen. Nicht nur die großen Versorger, sondern jede:r Einzelne als Eigenerzeuger:in müsse systematischer seinen oder ihren Beitrag zur Strom- und Wärmewende leisten. Und man müsse bürokratische Hemmnisse abbauen. „70 bis 80 Prozent der Zeit nehmen allein die Planungsverfahren in Anspruch. Gerade bei der Geothermie gibt es viele Zuständigkeiten, da verliert man schon mal die Nerven“, so Thelen.
Die technischen Lösungen für klimaneutrale und bezahlbare Wärme sind vorhanden. Wärmepumpen und mit grüner Energie gespeiste Fernwärmenetze werden eine große Rolle bei der Transformation spielen. Gleichzeitig muss der Wärmebedarf durch energetische Sanierungen im Gebäudesektor gesenkt werden. Ohne eine ganzheitliche Strategie, die neben technologischen auch gesellschaftliche und politische Maßnahmen umfasst, wird die Umsetzung jedoch nicht rechtzeitig gelingen. Deutschland muss es jetzt ernsthaft und mit Nachdruck angehen – auf allen Ebenen.