
Vom Wissen zum Handeln - Wie schaffen wir gesellschaftliche Transformation?
Dialogforum am 8. April 2025, Munich Re, Saal Europe, Giselastraße 21
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Hürden auf dem Weg vom Wissen zum Handeln
Wenn es um gesellschaftliche Transformation geht, besteht eine Hürde darin, dass Interessengruppen aufeinandertreffen, die zwar das gleiche Ziel verfolgen, aber unter unterschiedlichen Erfolgsbedingungen agieren. „In einer solch komplexen Situation sind alle Beteiligten nur so lange motiviert, Wissen in Handeln umzusetzen, wie sie nicht als Totalverlierer aus dem Prozess hervorgehen“, erklärte Armin Nassehi, Professor für Allgemeine Soziologie und Gesellschaftstheorie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Erschwerend hinzu komme ein intellektuelles Selbstmissverständnis der Entscheidungsträger:innen. „Wir glauben, dass man den Menschen nur gute Gründe geben muss, damit sie handeln. Das ist empirisch nicht der Fall.“ Denn in der trägen Praxis des Alltags hätten disruptive Ideen, die das Leben verändern, wenig Chancen. Was sich einmal bewährt habe, sei unglaublich schwer, mit guten Gründen in Frage zu stellen.
In Zeiten multipler Krisen, sei es die Pandemie oder die sogenannte Flüchtlingskrise, erweist sich diese Trägheit gesellschaftlicher Strukturen laut Nassehi als immer größeres Problem. Je stärker die Argumente der Expert:innen, desto größer die Zweifel in Teilen der Öffentlichkeit. Und je mehr die Eliten auf ihrer Sicht der Dinge beharren, desto größer wird bei manchen der Verdacht, dass hier etwas nicht stimmt. Hinzu komme, dass die Gesellschaft in unterschiedliche Handlungsfelder zerfalle. Für die einen stehe ökonomisches Handeln im Vordergrund, um auf dem Markt zu bestehen. Andere müssten politische Mehrheiten organisieren, um ihre eigenen Machtchancen zu verbessern. „Deshalb wünschen wir uns einen Masterplan, der die verschiedenen Bereiche der Gesellschaft koordiniert. Das Hauptproblem unserer Gesellschaft ist, dass es diese Koordinationsstelle nicht gibt“, so Nassehi.
Transformation erträglich gestalten
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Manches, was den einen aufgrund ihres Wissens als Notwendigkeit erscheint, ist für andere eine Zumutung. Das muss man ernst nehmen.
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Zum einen brauchen wir eine verständliche Wissenschaftskommunikation, zum anderen mehr Interaktion mit den Menschen, um ihnen zu erklären, worum es geht.
Transformation durch Koordination
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Damit unterschiedliche Akteure zusammenwirken, brauchen wir breite Allianzen und eine Koalition der Willigen.
Strategien gegen Bremser
Dreh- und Angelpunkt der gesellschaftlichen Transformation bleibe aber die Politik, die selbst oft nur zögerlich bei den notwendigen Veränderungen agiere. An mangelndem Wissen liege das nicht, so Kemfert. „Politiker sind oft sehr gut informiert. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass es Pfadabhängigkeiten, wirtschaftliche Interessen oder Verflechtungen gibt und deshalb bestimmte Dinge nicht angegangen werden“, machte sie deutlich. Auch in der Bevölkerung sei vielen Menschen bewusst, dass an einer gesellschaftlichen Transformation etwa in Bezug auf den Klimawandel kein Weg vorbeiführe. „Aber es gibt Bremser, die Verschwörungstheorien verbreiten, mit Desinformationskampagnen gefüttert werden und damit die sozialen Netzwerke fluten. Dagegen brauchen wir neue Strategien“, ist Kemfert überzeugt. Sie denkt dabei an schlagkräftige Informationskampagnen, die vielleicht nicht die Klimaskeptiker:innen, aber die große schweigende Mehrheit der Menschen erreichen. „Politik und Wissenschaft, die beide unter Beschuss stehen, müssen dagegenhalten und sich vernetzen, um sich gemeinsam zu wehren.“
„Wir müssen aufpassen, dass die Kluft zwischen den erwartungsschürenden Ankündigungen der Politik und dem konkreten Handeln nicht zu groß wird“, ergänzte von der Wippel. Sonst werde auch die so genannte Mitte der Bevölkerung anfälliger für Verschwörungstheorien. „Meiner Meinung nach sollte jedes Gesetz von einem konsequenten Umsetzungsprozess begleitet werden, der die Aufgaben der Akteure auf den verschiedenen Ebenen genau definiert.“
Bürokratische Prozesse vereinfachen
Könnte Bürokratieabbau helfen, Transformationsprozesse zu beschleunigen? Nassehi zeigte sich skeptisch. „Bürokratie ist kein Selbstzweck, sondern erfüllt eine wichtige zivilisatorische Funktion in unserer Gesellschaft.“ Denn nur rechtlich verbindliche Regelungen würden es ermöglichen, dass jeder ohne Ansehen der Person Ansprüche geltend machen könne. Über die Vereinfachung von Prozessen müsse jedoch nachgedacht werden, etwa wenn es darum gehe, den Kontakt zwischen Bürger:innen und Kommune auf weniger Plattformen gleichzeitig stattfinden zu lassen. Auch zur Disruption als Beschleuniger von Transformationsprozessen hat Nassehi eine klare Meinung: „Das ist ein ideologisches Konzept, bei dem die Akteure erst später über die Folgen und die damit verbundenen Kosten nachdenken“, kritisierte er. Nachhaltiger Wandel, das habe die Geschichte gezeigt, vollziehe sich eher in evolutionären Prozessen.
Gesellschaftliche Transformation ist angesichts multipler Krisen zweifellos eine Notwendigkeit. Sie wird unser Leben enorm verändern, uns viel abverlangen und viele Menschen verunsichern. Klar ist aber auch, dass es in unserer komplexen und dynamischen Welt weder exakte Anleitungen noch Garantien für erfolgreiche Veränderungsprozesse gibt. Umso wichtiger ist es, den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Blick zu behalten und die Sorgen der Menschen ernst zu nehmen.
Rückblick auf 20 Jahre Stiftungsarbeit
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Munich Re verfügt über großes Wissen über Risiken und Katastrophenvorsorge. Ziel der Stiftung ist es, dieses Wissen für Menschen im Risiko, die sich nicht aus eigener Kraft schützen können, zu nutzen, um ihre Lebensgrundlagen zu verbessern.
Agenda
Begrüßung und Keynote zum Stiftungsjubiläum
Dr. Doris Höpke
Vorsitzende des Stiftungsrats der Münchener Rück Stiftung
Podium
Prof. Claudia Kemfert
Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW Berlin
Prof. Armin Nassehi
Professor für Allgemeine Soziologie und Gesellschaftstheorie an der Ludwig-Maximilians-Universität München
Philipp von der Wippel
Gründer und Geschäftsführer der gemeinnützigen Organisation ProjectTogether
Moderation
Renate Bleich
Geschäftsführerin, Münchener Rück Stiftung
