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Zehn Denkanstöße für mehr Klimaschutz

DIALOGFOREN 2022

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    Wir alle müssen ambitionierter vorangehen und dürfen Klimaschutz nicht als Bedrohung sehen, sondern vielmehr als Chance erkennen. Zehn Denkanstöße aus den Diskussionen der Expert:innen auf den Dialogforen, die uns den Weg zur Klimaneutralität weisen könnten.

    15. März 2023

    1) Wir müssen den Emissionshandel erweitern

    PROF. OTTMAR EDENHOFER, Direktor und Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und Direktor des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change, Berlin
    CO2-Emissionsrechte erlauben einem Land oder Unternehmen, eine bestimmte Menge klimaschädlicher Gase auszustoßen. In der EU ist der Emissionshandel seit 2005 das zentrale Instrument, um die Treibhausgas-Emissionen der Energiewirtschaft und der energieintensiven Industrie zu reduzieren. Klimawissenschaftler wie Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, plädieren dafür, den verpflichtenden Emissionshandel auf die Bereiche Verkehr und Gebäude auszuweiten. In Deutschland verursachten diese beiden Sektoren 2021 rund ein Drittel aller CO2-Emissionen. Weil dadurch die Kosten für Transport und Wohnen steigen, sollte man mit Kompensationszahlungen ökonomischen und sozialen Verwerfungen entgegenwirken.

    2) Wir brauchen einen Finanzausgleich über Ländergrenzen hinweg

    „Raus aus der Kohle, sonst schlagen wir die Tür zum 1,5-Grad-Ziel zu“, lautete eine Warnung auf den Dialogforen. Deshalb sollte man Ländern, die Kohle verfeuern, über bilaterale Kooperationen den Ausstieg erleichtern. „Internationale Partnerschaften sind enorm wichtig, aber im deutschen Klimaschutzgesetz ist auch ansatzweise nichts dazu zu finden“, bemängelte Remo Klinger von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde. Vorstellbar wäre, dass Industrieländer einen Investmentfonds speisen, der dann einen Teil der Transformationskosten von Entwicklungsländern deckt. Der „Grüne Klimafonds“ der Vereinten Nationen, der auf die Verringerung von Treibhausgasen und auf die Anpassung an die Folgen des Klimawandels in Entwicklungs- und Schwellenländern abzielt, geht in diese Richtung. Er verfügt aber mit Finanzzusagen von 11,4 Mrd. US-Dollar bei weitem nicht über ausreichend Mittel.
    Jährliche Klimafinanzierungslücke im Globalen Süden (Stand 2020)
    Datengrundlage: Climate Policy Initiative (2022) and LSE (2022)

    3) Ohne grünen Wasserstoff keine Klimaneutralität

    Claudia Kemfert
    © Oliver Betke
    Auch grün produzierter Wasserstoff kann nur ein Baustein der gesamten Energiewende sein.
    PROF. CLAUDIA KEMFERT
    Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung e.V. (DIW), Berlin
    „Wir brauchen grünen Wasserstoff, um Klimaneutralität zu erreichen“, forderte Sopna Sury, Vorständin beim Energieversorger RWE. Grüner Wasserstoff, der aus Erneuerbaren Energien gewonnen wird, dient als Speichermedium und hat ein breites Einsatzspektrum in der Industrie und im Verkehr. Deutschland will die Elektrolyse-Produktion für Wasserstoff bis 2030 auf zehn Gigawatt verdoppeln. Im Vergleich zu der angestrebten Kapazität für Photovoltaik von 200 Gigawatt erscheint das relativ gering. Daher betonte Claudia Kemfert, dass Wasserstoff, auch wenn er grün produziert wird, nur ein Baustein der gesamten Energiewende sein kann. „Der Dreiklang aus Erneuerbaren Energien, Sparen und Wasserstoff ist der richtige Weg“, pflichtete Andreas Kuhlmann, Vorsitzender der dena-Geschäftsführung, bei.

    4) Die Green Economy erfordert einen gesellschaftlichen Umbau

    WOLFRAM GÜNTHER
    © Tom Schulze
    WOLFRAM GÜNTHER, Staatsminister im Sächsischen Staatsministerium für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft (SMEKUL), Dresden
    Lange Zeit haben Unternehmen Klimaschutz in erster Linie als Kostenfaktor betrachtet. Doch seit einigen Jahren hat ein Umdenken stattgefunden, wie Wolfram Günther, Minister im Sächsischen Staatsministerium für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft, bestätigte: „Die Wirtschaft hat beim Ausbau der Erneuerbaren Energien die Führung übernommen und ist oft schon viel weiter als die Politik.“ Allerdings müsse der Weg zur Green Economy die gesamte Gesellschaft erfassen. Neben Ressourcenverbrauch und Emissionsreduktion gehören dazu auch Fragen nach Lebens- und Arbeitsbedingungen, Konsummustern oder Produktlebenszyklen. Viele Startup-Unternehmen haben dazu Ideen entwickelt. Die Politik steht nun in der Pflicht, den gesamtgesellschaftlichen Wandel durch günstige Rahmenbedingungen zu fördern.

    5) Bei der grünen Transformation die SDG-Ziele berücksichtigen

    „Auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit müssen wir mehr Dinge berücksichtigen als den Klimawandel alleine, wenn wir eine zukunftsfähige Welt anstreben“, gab Andreas Kuhlmann, Geschäftsführer der Deutschen Energieagentur zu bedenken. Er plädierte dafür, den Zielen der Vereinten Nationen für eine nachhaltige Entwicklung (SDG) mehr Gewicht zu geben. Die nötige Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft müsse hinsichtlich ihrer ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekte bewertet werden. Ein Ziel sollte es sein, die ärmsten und verwundbarsten Menschen zu befähigen, sich vor klimabedingten Katastrophen schützen zu können. Zum Beispiel über Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel oder durch Klimarisikoversicherungen.
    Das Nachhaltigkeitsziel (SDG) 13 der Vereinten Nationen fordert dazu auf, weltweit umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen zu ergreifen.

    6) Wir müssen unser Konsumverhalten überdenken

    Durchschnittlicher jährlicher CO2-Fußabdruck pro Kopf in Deutschland
    Quelle: Konsum und Umwelt: Zentrale Handlungsfelder, Umweltbundesamt (2020)
    Ein großes Hindernis auf dem Weg zu mehr Klimaschutz ist unsere Trägheit. Im Grunde wissen wir alle, dass es ohne Verzicht nicht gehen wird. „Beim privaten Konsum kann sich jeder überlegen, was brauche ich tatsächlich und gibt es dazu eine nachhaltigere Alternative“, empfahl Julian Bischof, Forscher am Institut für Wohnen und Umwelt (IWU) in Darmstadt. Das gilt auch für die Ernährung. Eine fleischlastige Kost schlägt immerhin noch mit etwa einer Tonne CO2 pro Jahr und Kopf zu Buche. Um hier anzusetzen, könnte man die Besteuerung von Lebensmitteln verändern, so dass tierische Nahrung mit 19 Prozent und pflanzliche Produkte gar nicht belastet werden. Im Vergleich werden vegetarische Optionen damit günstiger. Dadurch könnte man über den Geldbeutel den Fleischkonsum und damit die CO2-Emissionen verringern.

    7) Wir brauchen negative Emissionen

    Die derzeit vorliegenden weltweiten Klimaschutzziele reichen nicht aus, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Netto-Null-Emissionen liegen in weiter Ferne. Hinzu kommt, dass es in der Landwirtschaft und in bestimmten Sparten der Industrie technisch kaum möglich sein wird, alle Emissionen zu vermeiden. „Nach allem, was wir heute wissen, gibt es kein Szenario ohne negative Emissionen, um die Erderwärmung unter zwei Grad zu halten“, erläuterte Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes (UBA). Die Möglichkeiten dazu sind vielfältig, wie Andreas Oschlies vom GEOMAR Helmholtz Zentrum für Ozeanforschung in Kiel skizzierte. Auf physikalischem Weg, indem man CO2 an der Quelle absaugt, komprimiert und in sichere Lagerstätten pumpt (Carbon Capture and Storage). Chemisch, indem man in den Ozeanen gelöstes CO2 mit fein gemahlenem Basaltgestein bindet. Und biologisch durch Aufforstung, ist Biomasse doch nichts anderes als fest gewordenes CO2. Doch bislang mangelt es an einem breiten politischen Willen dazu, und der Widerstand in Teilen der Bevölkerung und der Wissenschaft etwa gegenüber CCS ist groß.

    8) Den Kampf um unseren Planeten gewinnen wir in den Städten

    Städtische Ballungsräume sind für rund drei Viertel des weltweiten CO2-Austoßes verantwortlich. Gleichzeitig übernehmen die Kommunen als Träger der kommunalen Selbstverwaltung viele Rollen im Klimaschutz. Sie gehen mit Klimaschutzprojekten voran, steuern die Planungen für klimafreundliche Baugebiete oder beantragen Fördermittel. Und sie haben es als Dienstleister und Motivatoren in der Hand, direkt und indirekt den CO2-Ausstoss zu beeinflussen, ist Nadine Derber, Bereichsleiterin bei der Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg, überzeugt. Als Hindernis entpuppen sich die Trägheit der Verwaltung und Interessenskonflikte etwa bei der Entscheidung zwischen mehr Grün und den Belangen des Individualverkehrs. Zudem müssen sich die Kommunen an geltende Vorschriften wie das Baurecht halten, die sie nicht selbst verändern können. „Wir brauchen eine stärkere Steuerung auf der übergeordneten gesetzgeberischen Ebene“, machte Münchens Stadtbaurätin Elisabeth Merk deutlich.

    9) Wir müssen eine Circular Economy anstreben

    Circular Economy bedeutet, Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch zu entkoppeln, indem wertvolle Rohstoffe in einem dauerhaften Kreislauf genutzt werden. Abfälle gar nicht erst entstehen zu lassen, gehört zu dem Konzept genauso wie die Wiederverwendung von Ressourcen. „Ohne zirkuläre Wirtschaft werden wir keine Klimaneutralität erreichen“, zeigte sich Günther Langer, Circular-Economy-Experte vom Münchner Referat für Klima- und Umweltschutz, überzeugt. Gerade im Bausektor, der für rund 38 Prozent aller globalen CO2-Emissionen verantwortlich ist, würde die Wiederverwendung von Baustoffen viel bringen. Das ist allerdings derzeit noch 30 bis 40 Prozent teurer als konventionell zu bauen. Deshalb wäre eine staatliche Förderung nach dem Vorbild für Maßnahmen zu mehr Energieeffizienz nötig.
    Circular economy
    Quelle: eigene Darstellung (2023), Datengrundlage: Europäische Union

    10) Wir müssen hinter das Tal der Tränen blicken

    Wir stehen in Europa vor dem größten Strukturwandel in der Industriegeschichte und müssen uns selbst Knappheiten auferlegen, um die Klimaziele zu erreichen. „Wir sollten den Gewinn, der aus diesem Verzicht resultiert, stärker betonen“, empfahl Meike Jipp, Leiterin des Instituts für Verkehrsforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Zum Beispiel erkennen, dass steigende CO2-Preise den technischen Fortschritt beflügeln und wir in Zukunft mit rein Erneuerbaren Energien wieder günstigere Strompreise sehen werden. Es gibt viele Hürden auf dem Weg in die Klimaneutralität, aber um die Schwierigkeiten auf dem Weg durch das Tal der Tränen zu meistern, muss man den Menschen positive Zukunftsperspektiven aufzeigen.
    PROF. MEIKE JIPP, Leiterin des Instituts für Verkehrsforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Berlin