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Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit - wer trägt die Verantwortung?

Dialogforum am 12. Januar 2022

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    Die Dialogforen 2022 stehen ganz im Zeichen von smarten Lösungen für den Klimaschutz. Bei der Auftaktveranstaltung drehten sich die Diskussionen um die Frage: wer trägt die Verantwortung dafür, dass wir die ambitionierten Klimaziele tatsächlich erreichen? Zu klären war außerdem, wie die Lasten sozial gerecht verteilt werden können – national wie international.
    Der neue Klimaschutzminister Robert Habeck lässt keinen Zweifel: „Die bisherigen Klimaschutzmaßnahmen sind in allen Sektoren unzureichend", lautete sein Fazit nach einer ersten Bestandsaufnahme. Wenn Deutschland seine Anstrengungen nicht forciere, würden die Ziele zur CO2-Minderung für 2030 und darüber hinaus verfehlt. Eine enorme Herausforderung, urteilte Prof. Dr. Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). „Wir stehen in Europa vor dem größten Strukturwandel in der Industriegeschichte.“ Schwierig werde es vor allem deshalb, weil wir uns selbst Knappheiten auferlegen müssen, um die Klimaziele zu erreichen. 

    Emissionshandel muss erweitert werden

    Die Annahme des Club of Rome vor 50 Jahren, dass die fossilen Rohstoffe sich dem Ende zuneigen und wir deshalb einen Pfad der Nachhaltigkeit einschlagen müssen, hat sich Edenhofer zufolge als falsch herausgestellt. Gemessen daran, wieviel CO2 die Atmosphäre noch aufnehmen darf, um die Erwärmung zu begrenzen, dürfen wir gar nicht alle fossilen Ressourcen nutzen, die noch unter der Erde liegen. Der Klimawissenschaftler plädierte dafür, den bislang auf die Industrie beschränkten CO2-Emissionshandel auf die Bereiche Verkehr und Gebäude auszuweiten. „Weil das zu erheblich höheren Energiepreisen führen wird, sind Kompensationszahlungen nötig, um ökonomische und soziale Verwerfungen zu vermeiden,“ forderte er. 

    Die Politik müsse zudem klar die damit verbundene dynamische Perspektive kommunizieren. Steigende CO2-Preise beflügeln den technischen Fortschritt und dadurch erreichen wir einen alternativen Energiepfad. „In der Welt der erneuerbaren Energien werden wir wieder niedrigere Strompreise sehen, aber in der Transformationsphase müssen wir einen Berg überwinden. Wir kommen nicht von selbst in eine bessere Zukunft“, resümierte der PIK-Direktor. Nichts zu tun sei aber keine Alternative, denn ein ungebremster Klimawandel käme uns nicht nur teurer, sondern fördere auch soziale Ungerechtigkeit und würde vor allem die Ärmsten treffen.

    Prof. Dr. Ottmar Edenhofer
    © PIK -DAVID AUSSERHOFER
    Wir stehen in Europa vor dem größten Strukturwandel in der Industriegeschichte.
    Prof. Dr. Ottmar Edenhofer
    Direktor und Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung,
    Direktor Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change und Professor für die Ökonomie und Politik des Klimawandels an der TU, Berlin

    Verbindliche CO2-Budgets nötig

    „Ohne soziale Gerechtigkeit wird die Transformation hin zu mehr Klimaschutz nicht gelingen“, zeigte sich auch Prof. Dr. Remo Klinger von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde überzeugt. Er sieht die Politik in der Pflicht, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen und verbindliche Budgets für den CO2-Ausstoß in den kommenden Jahren festzulegen. „Man kann das ganz einfach ausrechnen: Wollen wir das 1,5-Grad-Ziel von Paris mit hoher Wahrscheinlichkeit erreichen, dürfen wir gemessen an der Bevölkerungszahl in Deutschland bis 2031 nur noch 1,43 Gigatonnen CO2 in die Atmosphäre entlassen. Die jetzigen Klimapläne liegen mit 5,66 Gigatonnen allerdings weit darüber“, verdeutlichte Klinger. Problematisch sei zudem, dass viele Maßnahmen auf Länder- und Gemeindeebene stattfänden und der Bund gar nicht die Möglichkeit habe, hier durchzuregieren. „Allein schon die Architektur des Klimaschutzgesetzes ist unzureichend, es herrscht ein regulatorischer Flickenteppich, der vorne und hinten nicht passt“, bemängelte er. 

    Auf Unternehmensseite kommt den deutschen Autoherstellern eine Schlüsselrolle beim Transformationsprozess zu. „Die Frage des Ob ist entschieden, aber das Wie ist noch offen“, machte Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), deutlich. Sie betonte, dass die Autobranche dem Klimaschutz einen zentralen Stellenwert einräumt. Man müsse aber die richtige soziale Balance auch im Hinblick auf die rund 800.000 Arbeitsplätze im Automobilbau finden und dürfe andere Dimensionen wie Wachstum und Wohlstand nicht aus den Augen verlieren. 

    Prof. Dr.  Remo Klinger
    © HelenNicolai-BusinessPortraits.de
    Ohne soziale Gerechtigkeit wird die Transformation hin zu mehr Klimaschutz nicht gelingen.
    Prof. Dr. Remo Klinger
    Honorarprofessor
    Hochschule für nachhaltige Entwicklung, Eberswalde

    Den Menschen eine Perspektive bieten

    „Es geht darum, mehrere technologische Lösungen zu entwickeln und sich nicht einseitig auf einen bestimmten Technologiepfad festzulegen“, umriss sie die Aufgabe. Lösungen, die auch in anderen Regionen der Welt dazu beitragen, die Erderwärmung zu begrenzen. Das werde nur funktionieren, wenn wir als Industrieland mit Vorbildcharakter den Klimaschutz zu einem Erfolgsmodell machen. Die Autoindustrie werde ihren Beitrag dazu leisten, doch müsste der Prozess flankiert werden mit Maßnahmen in anderen Bereichen wie etwa der Energiepolitik. „Auf viele Menschen prasseln Veränderungen nicht nur als Chance ein. Die Transformation wird nur gelingen, wenn wir ihnen eine Perspektive bieten und nicht deren Akzeptanz verlieren.“ Deshalb benötige man eine faire Bepreisung von CO2 und müsse in einem zweiten Schritt für einen sozialen Ausgleich sorgen.

    „Technologieoffenheit ist wichtig“, pflichtete Klinger bei. Aber wenn wir 2045 treibhausgasneutral sein wollen, dürfe man ab 2030 keine neuen Autos mit Verbrennungsmotor auf den Markt bringen, wenn man eine durchschnittliche Nutzungsdauer von 15 Jahren unterstellt. „Günstige Elektrofahrzeuge sind Mangelware, da fehlt es mir an Verantwortung seitens der Industrie, weil die soziale Komponente nicht berücksichtigt ist“, kritisierte er. Die VDA-Präsidentin verwies auf die Investitionen von 220 Milliarden Euro bis 2026, die die Autoindustrie für den Transformationsprozess aufbringe. „Nur mit Elektroneuwagen ist das Problem ohnehin nicht zu lösen.“ Man müsse auch an Alternativen wie den Wasserstoffantrieb denken, der in Teilen von Asien favorisiert würde. Und nicht zuletzt müsse man über eine neue Verkehrspolitik reden, um den Menschen, die in ländlichen Räumen auf das Auto angewiesen sind, Mobilität zu ermöglichen. „Wir müssen uns mit den konkreten Herausforderungen befassen und die Probleme der Menschen ernst nehmen, sonst wird die Transformation nicht gelingen“, zeigte sich Müller überzeugt.

    Hildegard Müller
    © Dominik Butzmann
    Viele Menschen können Veränderungen aufgrund ihrer persönlichen Situation nicht nur als Chance begreifen. Die Transformation wird nur gelingen, wenn wir ihre Akzeptanz gewinnen und die soziale Frage nicht aus den Augen verlieren.
    Hildegard Müller
    Präsidentin
    Verband der Automobilindustrie e.V. (VDA), Berlin

    Finanzausgleich über Ländergrenzen hinweg

    Edenhofer regte an, in der Klimapolitik über die Landesgrenzen hinaus zu denken. „Der globale Kohleausstieg hat höchste Priorität, sonst schlagen wir die Tür zum 1,5-Grad-Ziel zu“, warnte er. Insofern spräche nichts dagegen, den Ländern, die heute noch stark auf Kohle setzen, über bilaterale Kooperationen den Ausstieg zu erleichtern. „Internationale Partnerschaften sind enorm wichtig“, pflichtete Klinger bei, aber im Klimaschutzgesetz sei auch ansatzweise nichts dazu zu finden. „Ohne Transferzahlungen aus den Industrie- in die Entwicklungsländer werden wir die globalen Klimaziele nicht verwirklichen“, ist Edenhofer überzeugt. Er könnte sich eine Art internationalen Länderfinanzausgleich über einen Investmentfonds vorstellen, in den die Industrieländer einzahlen. Die Mittel aus dem Fonds könnten dann einen Teil der Transformationskosten ersetzen, die den Entwicklungsländern aus dem Kohleausstieg entstehen.

    Die Klimavereinbarung von Paris setzt klare Ziele und verlangt klare Bekenntnisse. Bei der Umsetzung verzetteln sich allerdings viele Regierungen in zu kleinskaligen Vorgaben. Das verlangsamt den Prozess und verhindert effizienten Klimaschutz. Die Referierenden waren sich daher in ihren Schluss-Statements einig, dass es besser sei, wenige, dafür klar definierte Grenzen zu haben und diese konsequent zu verfolgen, anstatt eine Vielzahl von detaillierten Vorgaben einzuführen, die dann nicht geprüft werden können.

    Die Jahrhundertaufgabe Klimaschutz kann nur gelingen, wenn Politik und Wirtschaft an einem Strang ziehen und der Wandel sozial gerecht gestaltet wird – national wie international. Hier einen gesellschaftlichen Konsens zu finden, ist sicher keine einfache Aufgabe. Allerdings führt kein Weg daran vorbei, wollen wir nicht die Lebensgrundlagen auf unserem Planeten dauerhaft beschädigen. 

    Aufnahme

    Unser Partner, die katholische Akademie München, hat die Veranstaltung aufgezeichnet. Anzusehen ist diese Aufnahme auf der Platform YouTube. Klicken Sie einfach auf das nebenstehende Bild, um das Video anzusehen.  

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    Prof. Dr. Dr. Johannes Wallacher
    Präsident der Hochschule für Philosophie München (HFPH)

    Das Dialogforum fand in Kooperation mit der Katholischen Akademie in Bayern statt und wurde moderiert von Prof. Dr. Dr. Johannes Wallacher, Präsident der Hochschule für Philosophie, München. Wir durften zu unserem ersten Dialogforum im Jahre 2022 rund 150 Teilnehmer begrüßen, die der Diskussion zur Frage der Verantwortung im Klimawandel folgten.  Das nächste Dialogforum findet am 8. Februar zum Thema „Green Economy –Klimaschutz als Geschäftsmodel“ statt.