Key Visual DF 2022
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Kommunal klimaneutral - Städte als Vorreiter im Klimaschutz

Dialogforum am 22. Juni 2022
Online und in den Räumen der Munich Re

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    Der Kampf um unseren Planeten wird in den Städten gewonnen oder verloren, betonte bereits Ban Ki-Moon, UN-Generalsekretär von 2007 bis 2016. Auf dem letzten Dialogforum 2022 der Reihe „Smarte Lösungen für den Klimaschutz“ diskutierten kommunale Entscheidungsträger über aussichtsreiche städte- und gemeindebasierte Konzepte für mehr Klimaschutz und die Probleme, die sich bei der praktischen Umsetzung ergeben.
    DF22 Mai Messner
    © Munich Re Foundation / Oliver Jung
    Städte und Gemeinden gehen mit Klimaschutzprojekten voran, übernehmen Bauleitplanungen für klimafreundliche Baugebiete, beantragten Fördermittel, fungieren als Dienstleister und Motivatoren und beeinflussen so direkt und indirekt den CO2-Ausstoß.
    Nadine Derber
    Bereichsleiterin Kommunaler Klimaschutz, Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg
    Urbane Regionen, in denen bereits mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung leben, spielen laut einer Studie der Coalition for Urban Transitions (Koalition für Urbanen Wandel) eine zentrale Rolle beim Kampf gegen den Klimawandel. Immerhin sind Städte für rund drei Viertel des weltweiten CO2-Austoßes verantwortlich. „Kommunen übernehmen viele Rollen im Klimaschutz“, erklärte Nadine Derber, die als Bereichsleiterin bei der Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg Ansprechpartnerin für strategische Fragen zu Klimaschutz und Klimaanpassung ist. Städte und Gemeinden würden mit Klimaschutzprojekten vorangehen, übernähmen Bauleitplanungen für klimafreundliche Baugebiete, beantragten Fördermittel, fungierten als Dienstleister und Motivatoren und würden so direkt und indirekt den CO2-Ausstoss beeinflussen. Allerdings mit bestimmten Grenzen: „Bundesrecht und EU-Recht geben den Rahmen vor“, so die Expertin. Weil kommunaler Klimaschutz eine komplexe Aufgabe sei, benötige man eine strategische Planung und ausreichend Personal. „Die gesamte Verwaltung muss an einem Strang ziehen."

    Positive Zukunftsperspektiven aufzeigen

    DF22 Mai Engels
    © Munich Re Foundation / Oliver Jung
    München soll die erste Großstadt Deutschlands werden, die es schafft, Gebäude ohne Heizöl und Erdgas zu beheizen. Nötig dazu ist es, Fernwärme zu dekarbonisieren und Gebäude in Hinblick auf mehr Energieeffizienz zu sanieren.
    Christine Kugler
    Referentin für Klima- und Umweltschutz, München
    Den größten Hebel und zugleich die größte Herausforderung auf dem Weg zur CO2-Neutralität sieht Christine Kugler, Referentin für Klima- und Umweltschutz in München, in der Wärmewende. „München soll die erste Großstadt Deutschlands werden, die es schafft, Gebäude ohne Heizöl und Erdgas zu beheizen“, gab sie die Richtung vor. Nötig dazu sei es, die Fernwärme zu dekarbonisieren und die Gebäude in Hinblick auf mehr Energieeffizienz zu sanieren. Keinen Zweifel ließ sie daran, dass Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel Hand in Hand gehen müssen, indem man die Städte resilienter gegenüber Hitzewellen und Starkregen macht. Kugler ist zudem überzeugt, dass sich die Hürden auf dem Weg in die Klimaneutralität nur zusammen mit den Bürgerinnen und Bürgern überwinden lassen, egal ob es sich um Fragen der Energieversorgung, neue Mobilitätslösungen oder Maßnahmen zur Klimaanpassung handelt. „Wir müssen positive Zukunftsperspektiven aufzeigen, um die Herausforderungen zu meistern“, forderte sie. Partizipative Vorgehensweisen sind gefragt!
    DF22 April - Heike Holdinghausen
    © Munich Re Foundation / Oliver Jung
    Die Bürgerinnen und Bürger müssen merken, dass sie gehört und dass ihre Anliegen ernst genommen werden. Dazu muss man sie vor Ort rechtzeitig über mögliche Projekte informieren und ihnen Vorteile wie beispielsweise eine höhere Lebensqualität durch weniger Verkehr aufzeigen.
    Alexander Wright
    Bürgermeister, Gießen
    Wie man es schafft, die Menschen mitzunehmen, zeigte Alexander Wright, Bürgermeister der Stadt Gießen auf: „Die Bürgerinnen und Bürger müssen merken, dass sie gehört und dass ihre Anliegen ernst genommen werden.“ Dazu müsse man sie vor Ort rechtzeitig über mögliche Projekte informieren und ihnen Vorteile wie beispielsweise eine höhere Lebensqualität durch weniger Verkehr aufzeigen. Zudem müsse man Fehler in Kauf nehmen, weil andernfalls bestimmte Projekte gar nicht erst angegangen würden. Gießen selbst will bis 2035 klimaneutral werden und dazu die Bereiche Strom, Wärme und Verkehr umgestalten. „Wir brauchen dafür die Power von Land und Bund, weil Klimaschutz noch keine Pflichtaufgabe der Kommunen ist, sondern rechtlich etwa mit dem kulturellen Engagement gleichgestellt ist.“ Hier zeigt sich eine Herausforderung in der deutschen Ordnungspolitik: die deutsche Bundesregierung stimmt bindend dem Pariser Klimaschutzabkommen zu und ist damit verpflichtet, die CO2-Emissionen zu reduzieren. Die Umsetzer sind dann die Länder und zu guter Letzt die Kommunen in Deutschland. Die Verpflichtung kann hier jedoch nicht einfach heruntergebrochen werden. Zunächst müssen Finanzierung und gesetzliche Vorgaben geprüft und geregelt werden. Solange wollen glücklicherweise viele Gemeinden nicht warten.

    Pragmatismus statt Perfektionismus

    Das Ziel der Klimaneutralität hat die Gemeinde Wildpoldsried in der Nähe von Kempten bereits 2013 erreicht, wie Alt-Bürgermeister Arno Zengerle erläuterte. „Inzwischen erzeugen wir acht Mal mehr grünen Strom als wir verbrauchen“, freute er sich. Gelungen sei das unter anderem, weil man nicht dem deutschen Perfektionswahn verfallen sei, was meist extrem unwirtschaftlich sei. „Ich bin ein Verfechter des Paretoprinzips: man kann in den meisten Fällen bereits 80 Prozent des Ergebnisses mit lediglich 20 Prozent des Gesamtaufwands erreichen.“ Zengerle zeigte sich überzeugt, dass die Energiewende ohne Zwang alleine durch Motivation, Beratung und Förderung gelingen kann. „Jedes Haus kann ein Kraftwerk werden. Unsere Bürger haben in den vergangenen 20 Jahren 50 Millionen Euro für Klimaschutz und Erneuerbare Energien in die Hand genommen“, machte er deutlich. Allerdings ist er sich bewusst, dass nicht jede Kommune die gleichen Möglichkeiten hat. „Jeder muss das machen, was er am besten kann. Auf dem Land ist Platz für Windräder, Städte sind eher für Krankenhäuser und Universitäten da.“
    DF22 Mai Engels
    © Munich Re Foundation / Oliver Jung
    Ich bin ein Verfechter des Paretoprinzips: man kann in den meisten Fällen bereits 80 Prozent des Ergebnisses mit lediglich 20 Prozent des Gesamtaufwands erreichen.
    Arno Zengerle
    Alt-Bürgermeister, Wildpoldsried
    Ein wesentliches Hindernis auf dem Weg zu mehr Klimaschutz sind Engpässe bei Material und vor allem qualifizierten Handwerkern, um bei den Gebäudesanierungen die Quote von derzeit gut einem Prozent auf sechs bis sieben Prozent hochzuschrauben. „Die Hemmnisse sollten uns aber nicht davon abhalten, etwas zu tun“, forderte Kugler und kritisierte die Subventionspolitik, die in Teilen kontraproduktiv sei, etwa beim Dienstwagenprivileg. In anderen Bereichen, wie bei der Förderung von umweltfreundlichen Heizungen oder der energetischen Sanierung von Gebäuden, entfalten die Mittel aber eine positive Wirkung. „Das funktioniert alles bestens“, bestätigte Alt-Bürgermeister Zengerle. 
    Ein weiteres Hindernis: „Wir müssen über unseren bürokratischen Schatten springen“, forderte Klimaschutzexpertin Derber. Die kommunalen Entscheidungsträger seien häufig in ihren Plänen verhaftet. Es wäre viel gewonnen, wenn man angesichts der drängenden Zeit den Mut aufbrächte, einfach loszulegen. Als lobendes Beispiel nannte sie das autofreie Quartier Vauban in Freiburg, das sich einer deutlich größeren Beliebtheit erfreut als anfangs gedacht. 

    Klimarat prüft Beschlussvorlagen

    Um die ambitionierten Klimaziele zu erreichen, hat München kürzlich einen Klimarat mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft etabliert. Er überprüft Beschlüsse auf ihre Folgen für das Klima, bevor sie im Stadtrat beraten werden. „Allerdings hat der Klimarat kein Vetorecht“, gab Kugler zu bedenken. Auch in Baden-Württemberg haben einige Kommunen nach Angaben von Derber die Klimabewertung von Beschlussvorlagen eingeführt. „Wir müssen schauen, dass diese Prüfungen nicht zum Papiertiger werden“, forderte sie. Ein großer Vorteil auch ohne Vetorecht besteht zumindest darin, dass sich die Verwaltung vermehrt mit Klimafragen auseinandersetzen und Alternativen suchen muss. „Wir haben beispielsweise in Gießen damit angefangen, auch im Hochbau Holz als umweltfreundlichen Baustoff zu verwenden“, sagte Wright. Er sprach sich dafür aus, auch im Bauwesen eine Kreislaufwirtschaft zu etablieren. „Da gibt es viele innovative Ideen, die das jetzt schon umsetzen.“
    Den Schlüssel zu mehr Klimaschutz haben die Kommunen in der Hand. Die Frage ist, inwieweit es wirklich allein auf freiwilliger Basis funktioniert oder doch ein gewisser Druck auf die Bürger nötig ist. „Vielleicht wäre es eleganter, wenn wir von lenken und fördern sprechen würden“, schlug Kugler vor. Lenkung sei vor allem dort nötig, wo die Freiheit des einen zu Lasten des anderen gehe, wie etwa beim Thema Verkehrslärm. „Wir brauchen keine Zwangdebatte“, ergänzte Wright. Aber um etwas zu bewegen, reiche es nicht, den Menschen nur gut zuzureden, sondern die Politik müsse den entsprechenden Rahmen setzen. „Ich glaube, wenn die Kommunen ihre Klimaziele konsequent verfolgen, führt das auch zu wirtschaftlichem Erfolg und dazu, dass die Menschen zufrieden und glücklicher sind“, zeigte er sich überzeugt.  
    Gemeinden und Städte können als Vorreiter zeigen, wie Klimaschutz schnell und effizient umgesetzt werden kann. Partizipation und Abbau von Bürokratie sind wichtig. Den Flaschenhals Personalmangel anzugehen, gerade unter den Handwerkern, liegt jedoch nicht direkt im Machtspektrum der Kommunen. Hier muss deutschlandweit mehr investiert werden.

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    "Kommunal klimaneutral - Städte als Vorreiter im Klimaschutz"   wurde von Andreas Unger, Jounalist und Moderator, geleitet. Rund 40 Zuhörerinnen und Zuhörer haben vor Ort und 50 virtuell bei der Veranstaltung teilgenommen.  
    Wir bedanken uns bei unseren Zuhörerinnen und Zuhörern, den Vor-Ort Besucherinnen und Besuchern und natürlich bei allen Referierenden für eine spannende, teils kontroverse und immer interessante Dialogforenreihe 2022 und wünschen Ihnen allen nun einen schönen Sommer!
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