Key Visual DF 2022
© Munich Re Foundation

Nicht über 2 Grad Erderwärmung - Aber wie?

Dialogforum am 24. Mai 2022
Online und in den Räumen der Munich Re

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    Die weltweiten Anstrengungen zur Verringerung der Treibhausgasemissionen kommen nur schleppend voran. Immer mehr Akteure aus Forschung, Industrie und Politik fordern daher, auch CO2-Entnahme-Verfahren zu prüfen. Hierbei kann CO2 etwa mit Hilfe von technischen Lösungen gebunden oder unterirdisch gespeichert werden. Wie genau negative Emissionen funktionieren und welche Hürden zu meistern sind, erörterten die Experten auf dem 5. Dialogforum 2022 der Reihe „Smarte Lösungen für den Klimaschutz“. 
    Die CO2-Uhr tickt unaufhaltsam. Sie zeigt an, wie lange es noch dauert, bis unser Kohlenstoffbudget erschöpft ist, wenn wir den Temperaturanstieg auf weniger als zwei Grad Celsius begrenzen wollen. Um dieses Ziel zu erreichen, bleiben uns noch ca. 1.000 Gigatonnen CO2. Streben wir 1,5 Grad als Limit an, verbleiben sogar nur noch rund 300 Gigatonnen CO2 übrig. Leider haben wir in den vergangenen Jahren auf dem Weg zur Klimaneutralität viel Zeit verloren, wie Prof. Dr. Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes (UBA), erläuterte. „Um das Ziel von maximal 1,5 Grad Erderwärmung zu erreichen, müssten die Emissionen in etwa acht Jahren bis zehn Jahren auf null sinken, das ist sehr unrealistisch.“ Erschwerend kommt hinzu, dass in der Landwirtschaft und bei bestimmten industriellen Prozessen Emissionen anfallen, die sich nicht verhindern lassen (die sogenannten residualen Emissionen). 
    DF22 Mai Messner
    © Munich Re Foundation / Oliver Jung
    Wenn wir bestimmte Kipppunkte im Erdsystem verhindern wollen, etwa dass das Grönlandeis unwiederbringlich schmilzt oder der Amazonas-Regenwald verschwindet, brauchen wir spätestens ab den 2030er-Jahren negative Emissionen.
    Prof. Dr. Dirk Messner
    Präsident des Umweltbundesamtes (UBA), Dessau-Roßlau

    Die Politik ist gefragt

    „Wenn wir bestimmte Kipppunkte im Erdsystem verhindern wollen, etwa dass das Grönlandeis unwiederbringlich schmilzt oder der Amazonas-Regenwald verschwindet, brauchen wir spätestens ab den 2030er-Jahren negative Emissionen“, ist Messner überzeugt. Je nach Modell müsste man global sechs bis zehn Gigatonnen CO2 pro Jahr aus der Atmosphäre filtern. Das ist enorm, wenn man bedenkt, dass die Menschheit derzeit rund 40 Gigatonnen pro Jahr emittiert. Angesicht der Größe des Problems benötige man eine Strategie und die richtige politische Weichenstellung, was beides derzeit fehle. 
    Welche Möglichkeiten zur CO2-Entnahme aus der Atmosphäre existieren, skizzierte Prof. Dr. Andreas Oschlies vom GEOMAR Helmholtz Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Zum einen auf physikalischem Weg, indem man das CO2 an der Quelle absaugt, komprimiert und in sichere Lagerstätten etwa unter dem Meer pumpt. „Norwegen praktiziert das seit 25 Jahren, und soweit wir das beurteilen können, klappt es gut.“ Chemisch lässt sich CO2 reduzieren, indem man in den Ozeanen gelöstes CO2 mit fein gemahlenem Basaltgestein bindet. Auch die Verwitterung von Gesteinen spielt eine wichtige Rolle. Biologisch funktioniert der Prozess über Aufforstung, ist Biomasse doch nichts anderes als fest gewordenes CO2.

    Ozeane als vielversprechende Kohlenstoffsenken

    Die Potenziale der einzelnen Möglichkeiten sind allerdings höchst unterschiedlich. Selbst wenn wir 90 Prozent unserer Emissionen vermeiden, müssten wir für die restlichen zehn Prozent bei alleiniger biologischer Entnahme die Fläche Russlands bewalden. Das ist utopisch, auch weil bewaldete Flächen dunkel sind, damit mehr Wärme speichern können und so tatsächlich zu einer weiteren Erwärmung beitragen würden, trotz des CO2-Speichers. Chemisch müsste jeder Mensch täglich fünf bis zehn Kilogramm Gesteinsmehl auf Böden und Äcker ausbringen, um die drei Kilogramm CO2, die pro Kopf in Deutschland anfallen, zu neutralisieren. „Da laufen wir rasch in Schwierigkeiten, weil die Landflächen begrenzt sind“, gab der Experte für Marine Biogeochemie zu bedenken. Hingegen sei der Ozean, der bereits jetzt etwa 60 Mal so viel CO2 bindet wie unsere Atmosphäre, unter bestimmten Bedingungen eine vielversprechende Kohlenstoffsenke.  
    „Bei unterirdischen Einspeisungen von CO2 habe ich Bauchschmerzen“, bekannte Dr. Nina Scheer, Klimaschutz- und energiepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. Nicht ohne Grund hätten sich viele Bundesländer gegen CCS (Carbon Capture and Storage, also das Speichern von Kohlendioxid im Untergrund) entschieden. „Man braucht dazu Pipelines, muss geeignete Lagerstätten finden und wie bei Atomendlagern mögliche Gefahren berücksichtigen“, begründete die Bundestagsabgeordnete ihre Skepsis. 

    Win-Win-Situationen schaffen

    DF22 Mai Engels
    © Munich Re Foundation / Oliver Jung
    Wenn es gelingt, Win-Win-Situationen zu schaffen und neue Geschäftsmodelle im Bereich CO2-Vermeidung oder -Entnahme zu entwickeln, werden die Menschen die noch wenig verbreiteten Technologien besser akzeptieren.
    Prof. Dr. Anita Engels
    Professorin für Soziologie, Universität Hamburg
    Nur wenn der politische Druck groß genug sei, werde sich etwas beim Thema negative Emissionen bewegen, zeigte sich Prof. Dr. Anita Engels, Professorin für Soziologie an der Universität Hamburg, überzeugt. Wichtig sei zudem, Förderprogramme aufzulegen. „Das hat bei der Energiewende mit der Einspeisevergütung sehr gut funktioniert, indem der Umstieg auf Erneuerbare Energien von Millionen Menschen getragen wurde.“ Wenn es gelinge, erneut Win-Win-Situationen zu schaffen und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, sei es im Bereich CO2-Vermeidung oder -Entnahme, würden die Menschen die noch wenig verbreiteten Technologien besser akzeptieren, glaubt Engels. 
    Auf natürliche CO2-Senken wie optimal bewirtschaftete Wälder zu bauen, kann möglicherweise für die residualen deutschen Emissionen ausreichen, wird aber nach Ansicht von UBA-Präsident Messner nicht genügen, um global das Klimaproblem zu lösen: „Studien zufolge können naturbasierte Lösungen nicht mehr als zwei bis drei Gigatonnen jährlich aus der Atmosphäre filtern.“ Hinzu komme, dass die natürlichen Senken derzeit eher geschwächt als gestärkt würden. „Der Amazonas-Regenwald beispielsweise ist inzwischen zu einem Emittenten von CO2 geworden.“ Deshalb müsse man auch in Deutschland und weltweit sichere Lagerstätten für CO2 finden, um eine Rückfalloption zu haben, wenn man rasch handeln müsse, forderte er. 

    Viele Länder weiter als Deutschland

    DF22  April - Meike Jipp
    © Kai Treffan
    Wenn wir bei den negativen Emissionen die falschen Weichen stellen, laufen wir Gefahr, mit einem ‘weiter so wie bisher‘ das fossile Zeitalter zu verlängern.
    Dr. Nina Scheer
    MdB, Klimaschutz- und energiepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Berlin
    Dass die Diskussion um technische Lösungen zur CO2-Entnahme aus der Atmosphäre auch kontraproduktiv sein kann, machte die Bundestagsabgeordnete Scheer deutlich: „Wenn wir bei den negativen Emissionen die falschen Weichen stellen, laufen wir Gefahr, mit einem ‘weiter so wie bisher‘ das fossile Zeitalter zu verlängern“, warnte sie. „Der Sorge, dass wir fossile Industrien am Leben erhalten, können wir regulatorisch begegnen, etwa indem wir getrennte Konten für positive und negative Emissionen einrichten“, entgegnete Ozeanforscher Oschlies. Er verwies zudem darauf, dass viele Länder in Europa wie Großbritannien oder die Niederlande in puncto negative Emissionen viel weiter seien als wir. Er hält das Argument eines verlängerten fossilen Zeitalters lediglich für eine Alibifunktion, um untätig zu bleiben. „Abwarten ist die falsche Strategie, so verteilen wir weiter unseren CO2-Müll auf der ganzen Welt. Auf Endlager für CO2 zu verzichten, ist weder verantwortungsvoll noch ethisch vertretbar. Das machen wir mit unseren Chemieabfällen schließlich auch nicht“, verdeutlichte er. 
    DF22 April - Heike Holdinghausen
    © Munich Re Foundation / Oliver Jung
    Abwarten ist die falsche Strategie, so verteilen wir weiter unseren CO2-Müll auf der ganzen Welt. Auf Endlager für CO2 zu verzichten, ist weder verantwortungsvoll noch ethisch vertretbar. Das machen wir mit unseren Chemieabfällen schließlich auch nicht.
    Prof. Dr. Andreas Oschlies
    Professor für Marine Biogeochemie, GEOMAR Helmholtz Zentrum für Ozeanforschung, Kiel
    Doch warum hinkt Deutschland anderen Staaten hinterher, wo wir doch bei den Erneuerbaren Energien eine Vorreiterrolle übernommen haben? Das habe strukturelle Ursachen, erklärte die Soziologin Engels. „Die Autohersteller sind ein wesentlicher Faktor bei allen Überlegungen, in welche Richtung man sich entwickeln will, und es gibt mächtige Interessensverbände der deutschen Industrie, die die Diskussion in ihrem Sinne lenken.“ 
    „Nach allem was wir heute wissen, gibt es kein Szenario, die Erderwärmung unter zwei Grad zu halten, das ohne negative Emissionen auskommt“, fasste Messner zusammen. Auch wenn die Technologien theoretisch vorhanden seien, müsse man weiter viel Forschung betreiben, um die nötige Infrastruktur für CCS im Gigatonnen-Bereich auf die Beine zu stellen. „Gerade weil wir in Deutschland noch am Anfang stehen, brauchen wir eine politische Strategie und Forschungsförderung.“ 
    Wir dürfen uns nicht selbst in die Tasche lügen, wir seien auf dem richtigen Pfad hin zu Klimaneutralität, ergänzte Engels. Denn eines ist klar: Wir müssen uns weiterhin voll auf die Vermeidung von CO2-Emissionen fokussieren. Zusätzlich, eben weil wir residuale Emissionen haben werden und zu langsam bei der Vermeidung sind, müssen wir aber auch CO2-Entnahmeverfahren in großem Stil planen. Beides zusammen führt dann hoffentlich in eine Zukunft, in der die Klimaänderungen weltweit handhabbar bleiben und Gesellschaften sich an die Folgen anpassen können.

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    "Nicht über 2 Grad Erderwärmung - Aber wie?"   wurde von Dr. Marlene Weiß, Ressortleiterin Wissen, Süddeutsche Zeitung (SZ), München, geleitet. Rund 50 Zuhörerinnen und Zuhörer haben vor Ort und 75 virtuell bei der Veranstaltung teilgenommen.  Das nächste Dialogforum findet am 22. Juni zum Thema „Kommunal klimaneutral - Städte als Vorreiter im Klimaschutz" statt.  Weitere Informationen dazu finden Sie auf der Übersichtsseite der Dialogforen 2022.