Autofreie Stadtquartiere:
Schon bald auch in München?
properties.trackTitle
properties.trackSubtitle
Dialogforum spezial an der Hochschule München am 12. November 2020
Erfahrungen in der Messestadt Riem
Auch in München gab es bereits Versuche für ein autofreies Quartier: etwa in der Messestadt Riem, die in den 1990er-Jahren entstanden ist. Doch auch dort hat sich gezeigt, dass es nicht ganz autofrei geht, erläuterte Clemens Baumgärtner, Referent für Arbeit und Wirtschaft der Landeshauptstadt München. Deshalb glaubt er: „Die autofreie Stadt ist momentan eher ein Wunschgedanke. Wenn wir über Stadtpolitik sprechen, müssen wir uns der Realität stellen.“
„Probieren geht über Studieren“, hielt Hannah Henker dagegen, die sich als engagierte Stadtbewohnerin für autofreie Projekte einsetzt. München müsse klimafreundlicher und gerechter werden und dazu seien mutige Schritte nötig. „Mutig heißt, dass es zu spürbaren Veränderungen kommt und wir den Menschen auch etwas zumuten.“ Das bedeutet im Einzelnen weniger Autos, dafür mehr alternative Mobilitätsangebote sowie eine stärkere Einbindung der Bürger in die Planungen. „Wir müssen die Ängste der Menschen ernst nehmen und zeigen, dass ein gutes Leben ohne Auto möglich ist, so dass die positiven Effekte besser wahrgenommen werden“, forderte Henker.
Welche Rolle der öffentliche Raum in der Stadt für den gesellschaftlichen Zusammenhalt hat, machte Andrea Benze, Professorin für Städtebau und Theorie der Stadt an der Hochschule München, deutlich: „Der öffentliche Raum spielt eine wichtige Rolle bei menschlichen Begegnungen und schafft so die Voraussetzung für eine inklusive Stadt und den Zusammenhalt der Bürger.“ Sie glaubt sogar, dass autofreie Quartiere so viele Vorteile bieten, dass sie bald den Traum vom Haus im Grünen ablösen könnten. Als gelungenes Beispiel führte sie die Stadt Rotterdam an, wo etwa 90 Personen in einem Viertel auf ihr Auto verzichtet haben. Der durch den Wegfall der Parkplätze gewonnene Raum konnte von den Menschen vor Ort als Begegnungs- und Erholungsraum genutzt werden. „Das führt dazu, dass der Verzicht auf das Auto ganz anders bewertet wird“, ist Benze überzeugt.
Pilotprojekt Sommerstraßen
München hat zumindest zeitweise sogenannte „Sommerstraßen“ als Pilotprojekte geschaffen, um den Corona-bedingt höheren Bedarf an Spiel- und Bewegungsfläche im hochverdichteten Stadtgebiet gerecht zu werden. Auch das „Referat für Stadtverbesserung“, ein Zusammenschluss von Architektur- und Urbanistik-Studierenden der Technischen Universität München, hat seine Vision einer autofreien Stadt in einem Projekt in der Schwanthalerstraße vorgestellt. Mit viel Begrünung und ohne parkende Autos entstand für einen Tag ein lebenswerter Straßenraum, der großen Anklang bei der Bevölkerung fand. „Weil autofrei eine Aufwertung des Quartiers bedeutet, muss sichergestellt sein, dass über eine Art Gentrifizierungsbremse die Menschen auch dort wohnen bleiben können“, gab Markus Westerholt vom Referat für Stadtverbesserung zu bedenken.
„Viele Menschen wünschen sich vielleicht eine autofreie Stadt, wollen aber für sich selbst Ausnahmen in Anspruch nehmen“, vermutet Wirtschaftsreferent Baumgärtner. Außerdem dürfe man nicht vergessen, welche Bedeutung der Verkehr für die wirtschaftliche Entwicklung habe. „Das Konzept von autofreien Quartieren wird nur dann gut funktionieren, wenn wir die Wirtschaft mitnehmen und nicht vor vollendete Tatsachen stellen“, verdeutlichte er. Gerade an einem Standort wie München, wo etwa BMW als Arbeitgeber und auch Initiator von Ideen (DriveNow, Inzell Initiative) ein wichtiger Akteur sei. Das Problem der Emissionen von Kraftfahrzeugen will Baumgärtner durch den verstärkten Einsatz von Wasserstoff als Treibstoff in den Griff bekommen. Versuche, autofreie Viertel in München zu schaffen, würde er trotz aller Skepsis nicht per se ablehnen. „Wenn sich tatsächlich genug Menschen finden, die das befürworten, dann lass ich mich auch gerne eines Besseren belehren.“
Mut zu neuen Mobilitätskonzepten
„Verkehrswende bedeutet mehr, als nur auf die Verkehrsmittel zu fokussieren. Vielmehr geht es um die Frage, wie man den Platz anders als heute nutzen und wie man eine grünere und lebenswertere Stadt schaffen kann“, meinte Magdalena Schmidkunz vom Referat für Stadtverbesserung. Neue Mobilitätskonzepte würden Mut benötigen, und man müsse experimentieren, statt von vornherein neue Denkansätze als Illusion abzutun.
„Wir müssen ja nicht von heute auf morgen alles verändern, sondern können mit Pilotprojekten die autofreie Stadt erfahrbar machen“, schlug Stadtplanerin Benze vor. Wenn die Menschen dann die Vorteile wahrnehmen, werde auch die Akzeptanz steigen, ist sie überzeugt. „Außerdem muss man den Begriff autofrei differenzierter betrachten. Es geht um eine Reduktion des motorisierten Individualverkehrs, und nicht um eine völlige Abschaffung“, stellte sie klar. Sie wünscht sich von der Stadt eine stärkere Förderung des Fahrradverkehrs nach dem Beispiel von Kopenhagen. „Dort fließen pro Bewohner und Jahr 20 Euro in die Fahrrad-Infrastruktur, bei uns sind das vielleicht gerade einmal 15 Prozent davon.“
An Ideen für eine Stadt, die nicht mehr vom Auto dominiert wird, mangelt es also nicht. Klar ist aber, dass wir auf dem Weg dorthin manch liebgewonnene Angewohnheit oder Bequemlichkeit aufgeben müssen. Auch scheint es wenig zielführend, die verschiedenen Verkehrsteilnehmer gegeneinander auszuspielen. Und nicht zuletzt muss man sehen, was die Verkehrswende kostet und wie viel uns ein lebenswerterer öffentlicher Raum tatsächlich wert ist. Diese Entscheidung können wir nur gemeinsam treffen!