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Grüne Stadt der Zukunft

Mit naturbasierten Lösungen Klimaresilienz und Lebensqualität steigern
Dialogforum spezial - Münchner Klimaherbst am 19. Oktober 2022

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    Vier von fünf Städten weltweit sind nach einer Studie der Organisation Carbon Disclosure Project extremer Hitze oder Überflutungen ausgesetzt. Der Klimawandel dürfte die Lage weiter verschärfen. Doch die Kommunen sind nicht hilflos: Durch naturbasierte Lösungen und vorausschauende Planung werden Städte klimaresilienter und ökologisch nachhaltiger. Vielversprechende Anpassungsstrategien erläuterten die Expert:innen auf dem Dialogforum spezial, das die Münchener Rück Stiftung anlässlich des Münchner Klimaherbsts 2022 veranstaltete
    Laut Carbon Disclosure Project sind solche Städte im Vorteil, die bei ihren Klimaschutzplänen die Bürger:innen in den Mittelpunkt stellen. Das kann heißen, auf die Bedürfnisse besonders gefährdeter Gruppen einzugehen oder generell die Bevölkerung bei den Planungen einzubeziehen. „Jeder kann einen Beitrag zu mehr Klimaresilienz leisten, insbesondere Eigentümer:innen stehen in der Verantwortung“, zeigte sich Silvia Gonzalez von der Münchner Umweltorganisation Green City e.V. überzeugt. Wobei der Weg in die grüne Stadt der Zukunft für München nicht ganz so einfach ist, wie die Landschaftsarchitektin und Stadtplanerin Stefanie Jühling erläuterte: „München ist die am stärksten versiegelte Großstadt in Deutschland.“ Nach Angaben des Referats für Klima- und Umweltschutz sind 44 Prozent des Stadtgebiets mit Straßen oder Gebäuden verbaut. Die Folge: An heißen Tage flirrt die Luft über dem Asphalt, Starkregen überlastet die Kanalisation. 

    Neue Allianzen schmieden

    Dabei hat München noch Glück, weil die Stadt nicht zu den Hochrisikogebieten zählt, wie Stadtbaurätin Prof. Elisabeth Merk verdeutlichte. „Die größte Gefahr, die ich für München sehe, sind weniger Extremereignisse, sondern vielmehr die Trägheit, dass wir den Umbau in eine grüne Stadt zu langsam angehen.“ Bei Neubauten könne man die Stellschrauben hin zu mehr Nachhaltigkeit noch relativ einfach verändern, allerdings machen diese nur etwa 1 Prozent der Gebäude in der Stadt aus. Der Hebel liegt also bei der Umgestaltung von bestehenden Gebäuden und Vierteln, für die aber Entlastungsstrategien fehlten. Dabei müsse man nicht immer im ganz Großen denken. „Ich bin ein Freund der kleinen Bausteine“, bekannte Merk. Städte seien ein wichtiger Teil der Lösung, weil der ökologische Fußabdruck wegen des geringeren Bodenverbrauchs pro Kopf nur halb so groß sei wie auf dem Land. Merk sieht es als wichtige Aufgabe, neue Allianzen für Klimaanpassung und Klimaschutz zu schmieden und nicht nur in der eigenen Fachwelt zu diskutieren. Oder, wie es Jühling formulierte: „Wir müssen die unterschiedlichen Referate wie Stadtplanung, Tiefbau oder Gartenbau enger verzahnen.“  
    DF Spezial 2022 Podium
    © Munich Re Foundation
    Prof. Stephan Pauleit (Professor für Strategie und Management der Landschaftsentwicklung, TU München), Stefanie Jühling (Landschaftsarchitektin und Stadtplanerin), Prof. Elisabeth Merk (Stadtbaurätin von München), Silvia Gonzalez (Leitung Urbanes Grün, Green City e.V.); Moderation: Julia Pfinder (v. l. n. r.).
    Das sieht Stephan Pauleit, Professor für Strategie und Management der Landschaftsentwicklung an der TU München, ähnlich: „Wir müssen erreichen, dass grüne Ideen von Anfang an mitgedacht und die Ziele zur Klimawandelanpassung umfassend in Stadt- und Fachplanungen quer über alle Referate integriert werden.“ Ziel müsse es sein, eine leistungsfähige und qualitätsvolle grüne Infrastruktur zu entwickeln und umkämpfte Flächen im öffentlichen Raum wie Straßen neu zu verteilen. „Dazu gehört auch die Infrastruktur unterhalb der Straßen, wo über die vergangenen mehr als 100 Jahre ein Wildwuchs an Ver- und Entsorgungsleitungen sowie U-Bahn-Schächten entstanden ist.“ Ohne Mobilitätswende, so Pauleit, werde die Klimawandelanpassung durch grüne Infrastruktur allerdings nicht gelingen. 

    Oasen ohne Konsumzwang schaffen

    Mehr Grün im öffentlichen Raum ist ganz nach Vorstellung von Stadtplanerin Jühling: „Weniger Autos bedeuten mehr Platz für Bäume und Bänke.“ Das wäre schnell umsetzbar, um in der Stadt kleine Oasen ohne Konsumzwang zu schaffen. Bäume, ergänzte die Green-City-Expertin Gonzalez, seien ein unschlagbares Element zur Klimaanpassung, indem sie für Biodiversität sorgen, die Luft reinhalten und zur Lärmminderung beitragen würden. „Wir brauchen einen Baumaktionsplan, gegebenenfalls auch zu Lasten des Autoverkehrs“, forderte sie. Und man dürfe sich nicht in Details verfransen oder auf die eierlegende Wollmilchsau spekulieren, sondern müsse einfach loslegen. 
    Grüne Fassade
    © Pixabay / Ildigo
    Begrünte Fassaden können zur Kühlung von Gebäuden beitragen.

    Kleine Veränderungen können beispielsweise die Dachbegrünung, Rückhaltebecken für Wasser oder Versickerungsflächen wie Baumrigolen betreffen. „Bauen ist teuer“, räumte Jühling ein. Doch Bauherren seien durchaus den Ideen einer grüneren Stadt zugänglich. Dabei sind Projekte im Vorteil, bei denen gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften die Baumaßnahmen tragen. Hier kann man eine grüne Infrastruktur in den verschiedenen Planungsphasen – von den ersten informellen Überlegungen bis hin zu den rechtlichen Festsetzungen im Bebauungsplan – leichter berücksichtigen. „Bei einem Innenhof mit zahlreichen Eigentümern ist das deutlich mühseliger“, gab Pauleit zu bedenken. Zumal die wenigsten Bauherren wissen, dass die Stadt München Förderprogramme für begrünte Innenhöfe, Fassaden oder Dächer aufgelegt hat, wie Gonzalez ergänzte.

    Hand in Hand mit mehr Grünflächen geht das Prinzip Schwammstadt: Regenwasser soll nicht einfach in der Kanalisation verschwinden, sondern vor Ort versickern oder zurückgehalten werden. „Das ist dringend nötig, weil Bäume ausreichend Wurzelraum und Wasser benötigen“, erläuterte Pauleit. 

    Schwammstadt
    © MUST Städtebau
    Eine Schwammstadt braucht ein ganzheitliches Wassermanagementsystem.

    Baurecht versus Klimaanpassung

    Dass Interessenskonflikte nicht ausbleiben, machte Stadtbaurätin Merk deutlich. „Es gibt eine Vielzahl von Ausschüssen mit unterschiedlicher politischer Besetzung und unterschiedlichen Zielen, so dass die Entscheidungsfindung im Stadtrat nicht immer ganz einfach ist“, weiß sie aus Erfahrung. Zudem könne man der Klimaanpassung nicht einfach oberste Priorität einräumen, sondern müsse sich an geltende Vorschriften und das Baurecht halten. Manche Dinge wie das Wohnungseigentumsgesetz oder die Stellplatzverordnung können Kommunen wie München gar nicht verändern. „Wir brauchen eine stärkere Steuerung auf der übergeordneten gesetzgeberischen Ebene“, forderte sie.

    Die Stadtgesellschaft kann also auf vielfältige Weise dazu beitragen, mehr grüne Flächen zu schaffen. Das funktioniert aber nur, wenn Klimaanpassung und Klimaschutz zum Schwerpunkt in der Stadtplanung werden und alle Akteure – Bewohner:innen, Hauseigentümer:innen und Unternehmen – mit ins Boot geholt werden. „Es hat sich in den vergangenen Jahrzehnten bereits einiges zum Positiven entwickelt, sonst sähe die Stadt heute anders aus“, ist Merk überzeugt. 

    DF spezial 2022
    © Munich Re Foundation
    Rund 60 Zuhörer:innen vor Ort und 60 Online-Teilnehmer:innen durften wir begrüßen.

    Was künftig noch möglich ist, zeigt ein Blick nach Kopenhagen. Dort wurde die Stadtplanung im Konsens mit der Bevölkerung darauf ausgerichtet, die Stadt grüner zu gestalten und der Ausbau klimafreundlicher Mobilität vorangetrieben. Mit Erfolg: Die Europäische Kommission hat Kopenhagen im Jahr 2014 den Titel der Umwelthauptstadt Europas verliehen. Die Dänen machen offenbar vieles richtig. Höchste Zeit, dass sich Städte wie München etwas davon abschauen.

     

    03 November 2022