Dialogforen
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5G, WLAN und Infrarot – Unsichtbare Strahlung, unsichtbarer Feind?

Dialogforum am 20. Mai 2021

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    Mit zunehmender Technisierung erhöht sich auch die elektromagnetische Strahlung, der wir täglich ausgesetzt sind. Besonders der im Aufbau befindliche Mobilfunkstandard 5G ruft Kritiker auf den Plan. Was sind die Vorteile des neuen Standards und wie steht es um die Gesundheitsrisiken? Die Expert*innen auf dem fünften und letzten Dialogforum 2021 der Reihe „Kleine Dinge, große Wirkung“ kamen zu keiner einheitlichen Einschätzung.  
    Autonomes Fahren, vernetzte Industrie, Internet der Dinge und Highspeed-Mobilfunk im ganzen Land: Auf dem Mobilfunkstandard 5G mit seinen enormen Datenübertragungsraten ruhen große Hoffnungen. Es gibt aber auch Bedenken hinsichtlich gesundheitlicher Risiken. Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) geht nach derzeitigem Kenntnisstand nicht von negativen Effekten aus, sieht aber noch offene Fragen. „Basis für die Bewertung möglicher gesundheitsbezogener Risiken für den Menschen sind Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Studien“, erläuterte die Präsidentin der Bundesbehörde, Dr. Inge Paulini. 
    Paulini
    © Paulini
    Gesundheitliche Effekte durch Mobilfunk sind gut untersucht. Es gibt keine wissenschaftlich gesicherten Belege für negative Gesundheitseffekte durch 5G unterhalb der bestehenden Grenzwerte. ​
    Dr. Inge Paulini
    Präsidentin des Bundesamtes für Strahlenschutz​

    Risiken wissenschaftlich eingrenzen

    Dabei nehme man eine weltweite Gesamtschau vor und gehe der Frage nach, wo besteht Gefährdungspotenzial, gibt es eine Beziehung zwischen Strahlendosis und Wirkung, und inwieweit ist der Mensch der Strahlung tatsächlich ausgesetzt? Auch Erkenntnisse aus Tierstudien oder aus Zellexperimenten würden herangezogen. Ihr Fazit: „Es gibt keine wissenschaftlich gesicherten Belege für negative Gesundheitseffekte durch Mobilfunk unterhalb der Strahlungsgrenzwerte, die in Deutschland gelten.“ Allerdings schränkte sie ein: „Die Nichtexistenz eines Risikos lässt sich wissenschaftlich nicht beweisen, aber eine entsprechende Studienlage erlaubt, das Ausmaß eines möglichen Risikos einzugrenzen.“ Weil der Mobilfunk zudem eine relativ junge Technologie sei, müsse man bezüglich absoluter Aussagen über die Langzeitgefährdung vorsichtig sein. „Dazu betreiben wir laufend Forschung.“ „Es gibt sehr wohl eine Reihe von Studien, die jenseits der Erwärmung von Köpergewebe, auf die das Bundesamt für Strahlenschutz Bezug nimmt, gesundheitsschädliche Effekte von Mobilfunk nachweisen“, entgegnete Jörn Gutbier, Vorsitzender des Vereins „diagnose:funk“.  Er bezieht sich auf 94 Reviews unterschiedlichster Studien, in denen etwa gentoxische Effekte, Fruchtbarkeitsschäden oder neurologische Effekte wie schlechtere Gedächtnisleistung betrachtet werden. 

    Auf die Grenzwerte kommt es an

    Bereits 2011 habe die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC), eine Einrichtung der Weltgesundheitsorganisation WHO, Hochfrequenzfelder, wie sie bei der Nutzung von Mobiltelefonen entstehen, als „möglicherweise krebserregend“ eingestuft. Auch eine Langzeitstudie an Mäusen und Ratten aus den USA (NTP-Studie) und eine ähnliche Studie am Institut Ramazzini in Bologna würden Krebsgefahren bejahen. „Was uns als Verbraucherorganisation in unserer Argumentation so sicher macht, ist der Scientific Appeal von 2015, den 254 Wissenschaftler*innen aus 44 Nationen unterschrieben haben“, ergänzte Gutbier. Sie empfehlen ein Moratorium bei der Einführung von 5G, bis die potenziellen Gefahren für Mensch und Umwelt vollständig untersucht sind.  Das thermische Dogma, also das alleinige Abstellen auf die Wärmewirkung von Mobilfunkstrahlen, sei eigentlich schon seit langem erledigt. 
    Enders
    © Achim Enders
    Die Existenz von Corona oder dem Klimawandel kann plausibel geleugnet werden genauso, wie Gefahren der Mobilfunkstrahlung herbeigeredet werden können: Simulierte Wissenschaft ist ein Problem!
    Prof. Achim Enders
    Leiter des Instituts für Elektromagnetische Verträglichkeit an der Technischen Universität Braunschweig
    Eine gänzlich andere Meinung vertritt der Physiker und Mediziner Prof. Achim Enders, Leiter des Instituts für Elektromagnetische Verträglichkeit an der Technischen Universität Braunschweig. Wenn das Thema wirklich relevant wäre, so seine Argumentation, würden sich viel mehr Wissenschaftler*innen mit den Auswirkungen von Elektrosmog befassen. „Ich kann mit der Fragestellung, inwieweit technische Geräte durch Funkstrahlung gestört und damit indirekt Menschen gefährdet werden, wesentlich mehr für die Sicherheit bewirken“, ist er überzeugt. Mögliche biologische Auswirkungen der Mobilfunkstrahlung bei Einhalten der Grenzwerte hält er für minimal. Und da solche Effekte bislang nicht real nachgewiesen seien, sollte man sich um dringendere Probleme der Strahlungssicherheit kümmern. „Die Studien, die wissenschaftlichen Standards folgen, belegen meine Aussagen nachdrücklich", betonte Enders.

    Emotionen spielen große Rolle

    „Warum wird dann der Elektrosmog als allenfalls minimale hypothetische Gefahr so breit in der Gesellschaft diskutiert?“, fragte er und schickte die Antwort hinterher: Wissenschaft könne zwar versuchen, die Menschen mit Fakten, Wissen und Bewertungen aufzuklären. Aber die Corona-Pandemie habe gezeigt, dass bei alledem eine höchst emotionale Komponente mitschwinge, die die Menschen gegenüber rationalen Argumenten taub mache. In Europa gebe es jedes Jahr rund 800 Tote durch schwarzen Hautkrebs, und zwar ausschließlich durch die zusätzliche Nutzung von Solarien. In Deutschland stürben schätzungsweise zwischen 1000 und 2000 Menschen durch Radonbelastung in den Häusern. „Die Forschungsfragen bezüglich eines hypothetischen minimalen Restrisikos bei Mobilfunk ist da doch ein Luxusproblem.“
    Ohnehin, so der Professor, gehe die größte Strahlungsbelastung mit einem Anteil von 90 bis 95 Prozent vom Handy selbst aus, egal wie viel Basisstationen sich in der Nähe befänden. Und hinsichtlich der IARC-Warnung vor potenziellen Krebsgefahren stellte er klar: „Das ist auf der IARC-Skala die geringste Gefährdungseinstufung!“ Tatsächlich fallen in diese Gruppe auch etwa die Extrakte von Ginkgo oder Aloe-Vera, sauer eingelegtes Gemüse oder Nickel bzw. Nickellegierungen. „Keiner fällt tot um durch die Benutzung von Mobilfunkgeräten“, räumte Gutbier ein. „Bei Krebs etwa müsse man eine ganze Kette betrachten“ ergänzte Paulini. Gibt es auf Zell- und Körperebene Hinweise auf Krebsgefahren? Falls ja, kann ich auch epidemiologisch in den Krebsregistern eine Zunahme feststellen? Und dies könne man nicht, stellte sie fest. 

    Umstrittene Strahlungssteuerung bei 5G

    Doch wie verhält es sich nun mit 5G, das ja gerade erst flächendeckend eingeführt wird und auf einer neuen Technologie beruht, nämlich der adaptiven Antenne. Sie strahlt nicht mehr in alle Richtungen gleichmäßig ab, sondern fokussiert innerhalb einer Funkzelle auf die jeweils aktiven Nutzer. „Das ist ein komplexes Thema, und sogar für den Fachmann manchmal verwirrend“, erläutert Enders. Doch sei die Wahrnehmung falsch, dass durch die Strahlungssteuerung generell eine höhere Strahlungskonzentration auf den Nutzer treffe. An einzelnen Stellen sei das möglich, aber an der Tatsache, dass das Handy selbst weiter für den Großteil der Strahlung verantwortlich ist, ändere sich dadurch nichts.  
    Gutbier
    © GABRIEL HOLOM
    Vorsorge ist möglich! Bereits mit der bestehenden Technologie könnten strahlungsarme Konzepte umgesetzt werden. Alternativen sind vorhanden.
    Jörn Gutbier
    Vorsitzender des Vereins „diagnose:funk“​

    Bei allen unterschiedlichen Positionen: Dass die Bevölkerung einen Anspruch auf Aufklärung hinsichtlich möglicher Risiken hat, ist unumstritten. Klar scheint auch, dass ein Konsens über die gesundheitlichen Gefahren von 5G zwischen Gegner*innen und Befürworter*innen  in weiter Ferne liegt. „Die Frage nach Vertrauen in die Institutionen lösen wir nur mit Transparenz und Offenheit“, ist Paulini überzeugt und fügte hinzu: „Wir folgen den Regeln der deutschen Forschungsgemeinschaft mit ihren hohen Standards, etwa bei Interessenskonflikten bei der Vergabe von Studien, und legen das für jedermann nachvollziehbar offen.“ Allerdings hat die Corona-Pandemie gezeigt: Ohne ein gewisses Grundvertrauen in die Wissenschaft laufen derartige Ansätze ins Leere. Die Diskussionen über Mobilfunk und seine möglichen Gefahren werden uns wohl noch lange begleiten.

    Sicher ist jedoch auch: Ohne Mobilfunk wäre ein Leben auf der Welt, wie wir es heute leben, nicht mehr möglich. Wissensaufbau, Vernetzung, selbst ärztliche Dienste in abgelegenen Regionen und vieles mehr basieren auf Mobilfunk. Die nicht zu 100% ausschließbaren Risiken aus dessen Nutzung müssen auch in diesem Kontext richtig eingeordnet werden. 

    Mit diesem sehr kontrovers diskutierten Thema verabschieden wir uns von Ihnen mit den Dialogforen 2021. Wir bedanken uns für das große Interesse und freuen uns darauf, Sie auch 2022 wieder begrüßen zu können.

     

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    21. Mai 2021

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